Gesammelte Werke
in sich selbst eindringen können, kosmische Menschen, welche imstande sind, sich bis zu ihrem Zusammenhange mit dem großen Weltprozesse zu versenken. Diese verrichten Wunder mit geschlossenen Augen, weil sie die gesamte Kraft der Welt zu gebrauchen verstehen, die in ihnen gerade so ist wie außer ihnen. Aber alle Menschen, die bis dahin dem zweiten Faden folgten, mußten den ersten vorher zerreißen. Ich habe von schauerlichen Bußopfern erleuchteter Mönche gelesen, und die Mittel der indischen Heiligen sind ja auch dir nicht ganz unbekannt. Alle grausamen Dinge, die dabei geschehen, haben nur den Zweck, die elenden nach außen gerichteten Begierden abzutöten, welche, ob sie nun Eitelkeit oder Hunger, Freude oder Mitleid seien, nur von dem Feuer abziehen, das jeder in sich zu erwecken vermag.
Reiting kennt nur das Außen, ich folge dem zweiten Faden. Jetzt hat er in den Augen aller einen Vorsprung, denn mein Weg ist langsamer und unsicherer. Aber mit einem Schlage kann ich ihn wie einen Wurm überholen. Siehst du, man behauptet, die Welt bestünde aus mechanischen Gesetzen, an denen sich nicht rütteln lasse. Das ist ganz falsch, das steht nur in den Schulbüchern! Die Außenwelt ist wohl hartnäckig, und ihre sogenannten Gesetze lassen sich bis zu einem gewissen Grade nicht beeinflussen, aber es hat doch Menschen gegeben, denen das gelang. Das steht in heiligen, vielgeprüften Büchern, von denen die meisten nur nichts wissen. Von dorther weiß ich, daß es Menschen gegeben hat, die Steine und Luft und Wasser durch eine bloße Regung ihres Willens bewegen konnten und vor derem Gebete keine Kraft der Erde fest genug war. Aber auch das sind erst die äußerlichen Triumphe des Geistes. Denn wem es ganz gelingt, seine Seele zu schauen, für den löst sich sein körperliches Leben, das nur ein zufälliges ist; es steht in den Büchern, daß solche direkt in ein höheres Reich der Seelen eingingen.»
Beineberg sprach völlig ernsthaft, mit verhaltener Erregung. Törleß hielt noch immer fast ununterbrochen die Augen geschlossen; er fühlte Beinebergs Atem zu sich herüberdringen und sog ihn wie ein beklemmendes Betäubungsmittel ein. Indessen beendete Beineberg seine Rede:
«Du kannst also sehen, worum es sich mir handelt. Was mir einredet, Basini laufen zu lassen, ist von niederer, äußerlicher Herkunft. Du magst dem folgen. Für mich ist es ein Vorurteil, von dem ich los muß wie von allem, das von dem Wege zu meinem Innersten ablenkt.
Gerade daß es mir schwer fällt, Basini zu quälen, – ich meine, ihn zu demütigen, herabzudrücken, von mir zu entfernen, – ist gut. Es erfordert ein Opfer. Es wird reinigend wirken. Ich bin mir schuldig, täglich an ihm zu lernen, daß das bloße Menschsein gar nichts bedeutet, – eine bloße äffende, äußerliche Ähnlichkeit.»
Törleß verstand nicht alles. Er hatte nur wieder die Vorstellung, daß sich eine unsichtbare Schlinge plötzlich zu einem greifbaren, tödlichen Knoten zusammengezogen habe. Beinebergs letzte Worte klangen in ihm nach: «Eine bloße äußerliche, äffende Ähnlichkeit», wiederholte er sich. Das schien auch auf sein Verhältnis zu Basini zu passen. Bestand nicht der sonderbare Reiz, den dieser auf ihn ausübte, in solchen Gesichten? Einfach darin, daß er sich nicht in ihn hineindenken konnte und ihn daher stets wie in unbestimmten Bildern empfand? War nicht, als er sich vorhin Basini vorgestellt hatte, hinter dessen Gesicht ein zweites, verschwimmendes gestanden? Von einer greifbaren Ähnlichkeit, die sich doch an nichts anknüpfen ließ?
So kam es, daß Törleß, statt daß er über die ganz sonderbaren Absichten Beinebergs nachgedacht hätte, von den neuen, ungewöhnlichen Eindrücken halb betäubt, versuchte, über sich selbst klar zu werden. Er erinnerte sich an den Nachmittag, bevor er von Basinis Vergehen erfahren hatte. Da waren diese Gesichte eigentlich auch schon dagewesen. Es hatte sich immer etwas gefunden, womit seine Gedanken nicht fertig werden konnten. Etwas, das so einfach und so fremd erschien. Er hatte Bilder gesehen, die doch keine Bilder waren. Vor jenen Hütten, ja selbst als er mit Beineberg in der Konditorei saß.
Es waren Ähnlichkeiten und unüberbrückbare Unähnlichkeiten zugleich. Und dieses Spiel, diese geheime, ganz persönliche Perspektive hatte ihn erregt.
Und nun riß ein Mensch dies an sich. All das war nun in einem Menschen verkörpert, wirklich geworden. Dadurch ging die ganze Sonderbarkeit auf diesen
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