Gesammelte Werke
überall eintreten muß 128 . Nur eine Theorie, die das dingliche Sein als
transzendent
ansetzt, kann das dingliche Sein als solches bezweifeln.
Weiterhin berichtigt sich uns die metaphysische These von der »Zufälligkeit der Welt« 129 . Man mag es immerhin Zufall nennen, daß uns überhaupt Erlebnisse zuteil werden, obzwar damit wenig mehr denn nichts gesagt ist, da man sich einen Bewußtseinszusammenhang, der nicht auf Erlebnisse bezogen wäre, schlechterdings nicht vorstellen kann. Aber wenn uns Erlebnisse gegeben sind, dann ist eben dingliches Sein nicht zufälliges, sondern durch den Zusammenhang der Erlebnisse gefordertes. Husserls Satz:
»Alles leibhaft gegebene Dingliche kann auch nicht sein, kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein«
130 , ist also unrichtig; abgesehen davon, daß – wie ausgeführt – Dingliches
überhaupt nicht
»leibhaft« gegeben sein kann, daß hingegen alle unsere Erlebnisse uns irgendwann einmal »leibhaft«, d.h. unmittelbar gegeben sein müssen, abgesehen von diesen Ungenauigkeiten verfehlt sich der Husserlsche Satz dagegen, daß stets und überall dingliches Sein sein muß, wo der Zusammenhang der Erlebnisse es fordert. Auch von der »Zufälligkeit« der Welt darf sonach nicht geredet werden. Keine kommende Erfahrung könnte widerlegen, was »Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung« 131 ist. Eine solche transzendentale Bedingung aber ist es, daß wir »was in schwankender Erscheinung schwebt, in dauernden Gedanken fassen: – fassen
müssen«
132 . So wenig das Dingliche zweifelhaft ist, so wenig ist es zufällig. Daß wir überall und immer auf dingliche Urteile verwiesen sind, berichtigt schließlich noch Husserls Antithese:
»Das immanente Sein ist ... zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, daß es prinzipiell nulla ›re‹ indiget ad existendum. Andererseits ist die Welt der transzendenten ›res‹ durchaus auf Bewußtsein, und zwar nicht logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen.«
133 Die »res« sind nicht transzendente Gegenstände, sondern konstituieren sich auf Grund der transzendentalen Bedingungen der Erfahrung; darum bedarf das Bewußtsein ebensosehr der »res« wie die »res« des Bewußtseins. Der »Abgrund des Sinnes« zwischen »Bewußtsein« und »Realität« ist bloßer Trug. Nicht ein der »Wirklichkeit ›kontrastiertes‹ reines Bewußtsein« ist das Forschungsgebiet der Phänomenologie: In der Deskription der Gesetze des Zusammenhanges unserer Erfahrung erfüllt sie ihre Aufgabe.
II. Die Transzendenz des Noema
Der Kontrast von »Bewußtsein« und »Realität« ist das zentrale Motiv von Husserls Erkenntnistheorie. Da Husserl die »res« auf das Bewußtsein notwendig bezogen glaubt, nicht aber das Bewußtsein auf die »res«, ist er gezwungen, im Bewußtsein selbst den Grund jenes »kardinalsten Unterschiedes der Seinsweisen« aufzusuchen, während doch eine im Bereiche des persönlichen Bewußtseinszusammenhanges gehaltene Analyse gerade die Nichtigkeit jenes Unterschiedes aufweisen muß. Die Supposition dinglicher Transzendenz stellt Husserl vor das prinzipiell unlösbare Problem einer auf Transzendenzen gerichteten Erkenntnistheorie, ein Problem, das sich sogleich als
Scheinproblem
enthüllt, wenn man die Einsicht gewonnen hat, daß Dinge nichts anderes sind als Regeln für Erscheinungen. Eine Erkenntnistheorie aber, die nicht im Besitze jener Einsicht ist, gerät in stets weitergreifende Widersprüche; sie meint das naturalistische Ding an sich zu eliminieren und kann doch nicht zum Begriff des »immanenten Dinges an sich« – des Begriffs der erkannten Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen – durchdringen; sie muß zugestehen, daß Dinge nicht unmittelbar gegeben sind und wagt es doch nicht, die Dinge als mittelbar gegeben zu begreifen. Am Begriff des
Noema
und seiner Problematik wird deutlich, in welcher Extension Husserls verfehlte Dingtheorie seine Erkenntnislehre beherrscht.
Es wurde oben darauf hingewiesen, daß für Husserl
alles
Bewußtsein »Bewußtsein
von
etwas« ist 134 ; und dies »Bewußtsein von etwas« versteht Husserl nicht in dem Sinne, daß immer und überall Teilerlebnisse der Klasse a und der Klasse a unterschieden werden, sondern so vielmehr, daß
alle
Teilerlebnisse der Klasse a zugerechnet werden, mit anderen Worten, daß auch den
Eindrucksbestandteilen
symbolische Funktion zukommen soll, die dann nur als auf dingliche Transzendenzen gehend angenommen werden kann. Dies Verhältnis wird
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