Gesammelte Werke
»aktuellen« und »potentiellen« Akten, von »bemerkten« und »unbemerkten« Erlebnissen. »Unbemerkt« kann nur mittelbar Gegebenes sein; da aber mittelbar gegeben für Husserl nur unterschiedene Teilinhalte, nicht auch Komplexe sein können, so setzt er, wo es sich um ein Wissen von Komplexen durch Gestaltqualitäten handelt, ohne daß die Teile unterschieden wären, fälschlich Unbemerktheit des unmittelbar Gegebenen voraus.
Aus den durchgeführten Betrachtungen folgt zunächst eine Kritik der Husserlschen Lehre von
Abschattung
und
Abgeschattetem.
Wäre diese Scheidung als Scheidung von »realen« Gegenständen (»die stets zu irgend einer Zeit als unmittelbar gegeben zu denken sind«) und »idealen« Gegenständen (»die nur mittelbar gegeben sein können« 117 ) gemeint, so bestünde der Satz
»Abschattung ... ist prinzipiell nicht von derselben Gattung wie Abgeschattetes«
118 zu vollem Recht. Allein in diesem klaren Sinn ist nicht unterschieden. Denn da ja nach Husserl die gegenständlichen Momente
»in die Wahrnehmung mit dem Charakter der leibhaften Selbstgegebenheit«
119 fallen, sollen sie eben doch unmittelbar gegeben sein –
in
der Wahrnehmung, von der sie zugleich unterschieden sind. Der Widersinn ist evident. Der hoffnungslose Versuch, die vorausgesetzte Transzendenz des Dinglichen in Phänomenalem zu legitimieren, hat ihn gezeitigt. So wenig Dinge Transzendenzen sind, so wenig sind sie Erlebnisse. Sie sind Gesetze für Erlebnisse, konstituiert einzig durch den Zusammenhang unseres persönlichen Bewußtseins.
Mußte Husserl in der Abschattungstheorie Dingliches als Erlebnis mißverstehen, so drängt ihn die Disjunktion von Sein als Erlebnis und Sein als Realität, die sich anschließt, dazu, Dingliches wieder ganz aus dem Bereich des Erlebniszusammenhanges zu verbannen. Die unklare Transzendenz des Dinglichen zu seiner Wahrnehmung wird zur dogmatischen Transzendenz des Dinges zum Bewußtsein. »Zum Dinge als solchem, zu jeder Realität in dem echten ... Sinn, gehört wesensmäßig und ganz ›prinzipiell‹ die Unfähigkeit, immanent wahrnehmbar und somit überhaupt im Erlebniszusammenhang vorfindlich zu sein.« 120 Immanent wahrnehmbar? Gewiß, Dinge sind keine Erlebnisse 121 . Aber folgt daraus wirklich, daß sie »überhaupt im Erlebniszusammenhang« nicht »vorfindlich« sind? Keineswegs. Man muß sich nur den kritisch gereinigten Dingbegriff deutlich vergegenwärtigen. Dinge sind nicht einzelne Erlebnisse, sondern Beziehungen
zwischen
Erlebnissen – Gesetze für ihren Verlauf. Als solche aber sind sie dem Zusammenhang des Bewußtseins durchaus und im strengen Sinne immanent. Die Rede von der »schlechthinnigen Transzendenz« des Dinges ist somit unerlaubt; ebenso die Rede von der »prinzipiellen Unterschiedenheit der Seinsweisen«, der »kardinalsten, die es überhaupt gibt«, der »zwischen Bewußtsein und Realität« 122 . Was dürfte den Titel »Realität« beanspruchen, wenn nicht unsere Erlebnisse? Von welcher anderen Realität wüßten wir?
Zugleich korrigiert sich die Rede von der Zweifellosigkeit der immanenten, der Zweifelhaftigkeit der transzendenten Wahrnehmung 123 . Daß »ein Ding notwendig in bloßen Erscheinungsweisen«, daß es »inadäquat« gegeben sei, wird man Husserl gern einräumen. Die Unterscheidung von »Dingform« und »Erscheinungsform« 124 in der »Transcendentalen Systematik« zielt auf das Gleiche, und die »objektive Existenz« des »unabhängig von dem jeweiligen Auftreten der ihm angehörigen oder unter es fallenden Erscheinungen« 125 existierenden Realgesetzes bezeichnet ausdrücklich das Verhältnis von Ding und Erscheinung. Aber obwohl keine Erscheinung »die Sache als ›Absolutes‹ gibt« 126 , sind wir nicht berechtigt zu sagen, es sei
»dingliche Existenz ... nie eine durch die Gegebenheit als notwendig geforderte,
sondern in gewisser Art immer
zufällige
« 127 . Der Husserlschen These gegenüber gilt mit Schärfe:
Insoweit und nur insoweit wie sie sich als durch die Gegebenheiten geforderte ausweisen kann, besteht dingliche Existenz.
Alle unsere einzelnen dinglichen Urteile können falsch sein, d.h. durch den Zusammenhang unserer Erlebnisse widerlegt werden. Jedoch damit wird nicht das Bereich der Dinge toto genere der dubitatio unterworfen, sondern besteht solange zu Recht, wie unsere Auffassungen im Sinne der ersten und zweiten Kategorie eintreten. Dies aber ist eine im Kantischen Sinne
transzendentale
Tatsache, die notwendig immer und
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