Gesammelte Werke
wiederkehren. Aber es gehört zu den Elementen Ihrer Ironie, daß Sie das offizielle Wesen nicht brüsk, mit dem Gestus selbstherrlicher Ungebundenheit verabschieden, sondern es in Anführungszeichen setzen oder, wie die Philosophen dergleichen genannt haben, einklammern, etwa so, wie Anatole France von seinem Professor Bergeret sagt, er verachte zwar das Kreuz der Ehrenlegion, aber noch schöner wäre es gewesen, es zu besitzen und dann zu verachten. So mögen Sie mir denn verzeihen, wenn ich Sie in Talar und Barett begrüße in der Aula der Universität, die den Namen Goethes trägt.
Immerhin jedoch ist mein eigenes Verhältnis zu solchen Anlässen zu gebrochen, als daß ich mich damit begnügen könnte, Ihnen für die Ehre zu danken, die Ihr Besuch für die Frankfurter Hochschule bedeutet, und auch nicht damit, Sie als den summus poeta des befreiten Deutschland einer Jugend vorzustellen, die mit Ihrem Werk und Ihrer Gesinnung viel zu vertraut ist, als daß es einer solchen Lobrede bedürfte. Ich möchte vielmehr versuchen, einiges anzudeuten, was über den Bereich des Offiziellen hinausgeht, indem es an das rührt, was aus diesem Bereich sonst sorglich bannend ferngehalten wird, an das Leiden und den Schmerz.
Keinem ist es ein Geheimnis, aber vielleicht hat es doch ein Befreiendes, wenn ich ausspreche, daß dem Verhältnis zwischen Ihnen und der westdeutschen Bundesrepublik ein traumatisches Element beigesellt ist. Während auf Ihrem Namen, als dem einzigen eines heute lebenden deutschen Dichters, aller Glanz der Authentizität ruht, heftet sich an diesen Namen ebensoviel von jener Art Aggressivität und Ressentiment, von der die Psychologen wissen, daß sie zehrt von dem verdrängten Gefühl einer tiefen Schuld. Jeder aber, der Ihnen nahe kommen durfte, hat auch erfahren, wie sehr gerade diese Stimmung Ihnen seit vielen Jahren das Leben verbittert. Es ist meine Hoffnung, daß die Spannungen, die da bestehen und die hierzulande mit solcher Behendigkeit rationalisiert werden, zergehen, sobald sie ins Bewußtsein erhoben werden. Daß Sie, trotz der Rolle des Sündenbocks, die der fortschwelende Nationalismus Ihnen aufbürden möchte, hier erschienen sind, zeigt an, daß die Humanität, welche die Substanz Ihres Daseins ausmacht, sich bewährt auch in der höchsten Kategorie, zu der Humanität sich erheben kann: der der Versöhnung. Sie kann aber nur dann geraten, wenn sie dem Schwierigen ins Angesicht sieht und sich nicht verliert an den festlichen Augenblick.
Wer vertraut ist mit dem, was die Menschen in Deutschland heutzutage reden, der wird sich an die Rolle erinnern, die der Ausdruck Zivilcourage – er stammt, glaube ich, paradoxerweise von Bismarck – spielt. Wenn Deutsche sich selbst und ihre jüngste Vergangenheit kritisieren, so wird man immer wieder dem begegnen, daß sie ihrem Volk Mangel an solcher Zivilcourage vorwerfen, wobei freilich der Redende jeweils sich selber ausnimmt. Ich glaube, die Forderung nach jener seltenen Qualität ist fast allgemein. Sonderbarerweise aber wird die Zivilcourage, wenn einer sie einmal im Ernst an den Tag legt, keineswegs mit dem Enthusiasmus aufgenommen, den die verbreitete Ideologie erwarten ließe. Damit ist wohl das Verhältnis der öffentlichen Meinung zu Ihnen nicht übel bezeichnet. Wenn es einen Menschen in Deutschland gibt, der nicht von Zivilcourage spricht – das Wort steht kaum in Ihrem Vokabular, dazu ist es schwerlich zivil genug –, sondern der in voller, von keiner wie immer gearteten Rücksicht begrenzten Unabhängigkeit existiert, denkt und schreibt, dann sind Sie es, Thomas Mann. Anstatt daß man jedoch an Ihrer milden und exemplarischen Rücksichtslosigkeit sich ein Muster nimmt, läßt man, was sie bekundet, nur ungern an sich herankommen. Man schämt sich nicht, selbst den erbärmlichen Vorwurf der Eitelkeit gegen Sie zu erheben, der es ja immer leicht hat, wenn einer die Anmaßung besitzt, seiner Erkenntnis und seinem Gewissen zu folgen und nicht der kompakten Majorität. Wer Sie kennt und gar wer Sie bei der Arbeit beobachtet hat, weiß, wie frei gerade Sie von Eitelkeit sind; aber offenbar genügt heute bereits die Tatsache, daß einer deutsche Sätze zu formen vermag, um die Wut derer zu entfachen, die mit der eigenen Sprache zerfallen sind und denen sie zerfiel. Ihnen, meine Kommilitoninnen und Kommilitonen, möchte ich den Dichter vor Augen stellen als den, der eben jene Haltung an den Tag legt, die theoretisch jeder einzelne von Ihnen
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