Gesammelte Werke
weniger das Alte und vermeintlich Ewige, das selber der Zerstörung verschworen bleibt, als das der Zukunft. Ein jedes Geistiges hat seine Wahrheit an der Kraft der Utopie, die durch es hindurchleuchtet. Nur wenn die Menschheit, um zu überleben, die Utopie sich nicht länger mehr verbietet, sondern dessen inne wird, daß Überleben selber heute mit der Verwirklichung der Utopie eines Sinnes ward, dann wird auch die Starre des Geistes sich lösen – nicht etwa durch seine bloße Anstrengung oder die Verfeinerung seiner Mittel.
Ich habe absichtlich meine Erwägungen allgemein gehalten, um nicht den Schein zu erwecken, als ginge es mir um die Polemik gegen Einzelleistungen, wo es um die wie sehr auch ungerechte Erfahrung eines Ganzen geht. Ich habe Ihnen auch keine sogenannte konkrete Lösung anzubieten, und kann meine Hinweise nicht mit jenem ›Jedennoch‹ schließen, das heute nur Lächeln fände. Es handelt sich darum, Ihnen jene erste Erfahrung zu vermitteln; nicht darum, einen in sich ruhenden theoretischen Zusammenhang vor Sie hinzustellen. Diese Erfahrung beschränkt sich, wie ich sagte, keineswegs auf Deutschland. Sie betrifft jenes Europa, das dem aus Amerika Zurückkehrenden so rätselhaft zur Einheit sich zusammendrängt. Aber ich möchte doch mit Hinblick auf Deutschland noch etwas bestimmter reden. Politisch-anthropologisch scheint mir für den Zustand des Geistes hier die Ahnung davon bestimmend, daß Deutschland aufgehört hat, politisches Subjekt in jenem nationalstaatlichen Sinne zu sein, wie er für die letzten 150 Jahre maßgebend war. Der deutsche Faschismus war, in weiter historischer Perspektive, der Versuch, als solches politisches Subjekt, nämlich als planetarischer Ausbeuter, ›dranzukommen‹, zu einer Zeit, in der nicht nur die Karten der Welt ausgespielt waren, sondern in der der Begriff der Nation selber angesichts der geistigen und materiellen Produktivkräfte der Menschheit bereits sich überlebt hatte. Jetzt weiß in seinem Innersten ein jeder, daß es zu spät ist. Die Lähmung der geistigen Produktivität wird davon bewirkt, daß man kollektiv kein politisches Subjekt mehr ist und deshalb auch in der geistigen Reflexion nichts Fesselloses mehr unternimmt. Die Abgespaltenheit von der sei's auch impliziten politischen Praxis, die ich als Ursache der Sterilität neuen Stils vermute, rührt wohl daher, daß man realisiert, man habe als Deutscher nichts mehr vor sich. Man richtet sich auf die große Mächtekonstellation ein und meint, nur in der Resignation auf die abgegrenzte Kultursphäre etwas wie Sonderart erretten zu können. Aus der Hölderlinschen Klage über das »Tatenarm und gedankenvoll« wird gleichsam ein Programm, und es ist eben dieses Programm, das den Gedanken selber zum Schaden anschlägt. Wenn irgend Besinnungen über diesen Zustand hinausführen können – und ich weiß keineswegs, wie weit sie daran überhaupt heranreichen –, dann könnten es wohl nur solche sein, die den nationalstaatlich definierten Begriff des politischen Subjekts hinter sich lassen. Man müßte den Gedanken ans Drankommen und die Teilhabe an der Macht als veraltet durchschauen. Damit würde auch das sture sich Fügen und nach rückwärts Greifen sein Ende haben. Der böse Wunsch nach schrankenloser Herrschaft, der dahinter steht, erwiese sich als schrankenlose Illusion. Denn die objektive Unwahrheit im gegenwärtigen Stand des Bewußtseins ist wohl nichts anderes, als daß am Traum von Macht und Größe, an der Trauer über sein Mißlingen, festgehalten wird in einer Welt, die solcher Macht und Größe nicht mehr bedarf. Unwahr ist die Vorstellung, daß man Subjekt nur sei als Subjekt gesellschaftlicher Macht, nicht als Subjekt von Freiheit, als Subjekt einer versöhnten Menschheit. Ich muß kaum hervorheben, daß ich dabei nicht an die bloße Beseitigung der europäischen Landesgrenzen denke, so sehr die auch an der Zeit ist. Vielmehr müßten die Menschen, und zumal jene, denen in dieser Ordnung Geist zum Beruf und Privileg geworden ist, am Privileg irre werden. Sie müßten einsehen, daß heute im vollsten Maße ein Zustand der Welt möglich ist, welcher die Menschen nicht mehr als Objekte von über ihren Köpfen weg sich abspielenden Prozessen bestimmt, sondern in dem sie vereint ihr eigenes Schicksal bestimmen und damit erst wahrhaft zu Subjekten werden. Die Starre, die der Geist widerspiegelt, ist keine natur- und schicksalhafte Macht, der man ergeben sich zu beugen hätte. Sie ist
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