Gesammelte Werke
»Zauberberg« Ihrem œuvre die Schwere verleihen und dadurch erst die Bedingung für die Freiheit Ihres Geistes beistellen, vermag vielleicht nur der richtig einzuschätzen, der selbst um die Formulierung dessen sich bemüht, was alle wissen und keiner.
Damit erinnere ich noch einmal an Nietzsche, und vielleicht vergeben Sie es dem Philosophen, daß er nicht loskommt von dem Gemeinsamen zwischen Ihnen und der Philosophie. Die deutsche Philosophie hat an Nietzsche alles wiedergutzumachen. Auf die Periode der subalternen akademischen Mißachtung dessen, den man einen Dichterphilosophen zu taufen wagte, folgte die kaum tröstlichere seiner Absorption in Schriften, die ihn entweder zum Spießbürger machten und jeglichen Stachel aus seinem Denken entfernten, oder ihn für einen Faschismus reklamierten, vor dem er schon in die Emigration ging, als Hitler noch nicht geboren war. Sie, Thomas Mann, haben viel von diesem Unrecht wiedergutgemacht. Dabei denke ich nicht sowohl an Ihre Würdigung Nietzsches als an das, was Sie als Künstler freisetzten vom Wahrheitsgehalt seiner Gedanken. Sie haben den Abscheu vor der Welt des Tausches, mit der sein Werk erfüllt ist, die Nietzschesche Sehnsucht, daß der Mensch erlöst werde von der Rache, aus der Sache des Protests und der Fanfare in die Innervation, die subtilste Regung übersetzt, und Sie haben damit einem Element der Nietzscheschen Philosophie zu sich selbst verholfen, das er überschrie und entstellte, indem er bei der abstrakten Negation des Bestehenden und den ohnmächtigen Phantasmen des Jugendstils verharrte. Die Zartheit, die Sympathie, die Kraft der Identifikation, die Nietzsche verleugnete, um nicht lügen zu müssen – Sie haben sie ohne lauten Ton und ohne aufdringliche Predigt in dem Pathos der Distanz wahrgenommen, das Ihren Sätzen nicht weniger als denen Nietzsches eignet, und das kaum bemerkbare Lächeln Ihrer Prosa, das sie von der Nietzsches unterscheidet, hat, vielleicht ohne daß Sie selber stets es wußten, zum Ausdruck gebracht, daß die Kritik des Bürgers, die doch der positiven Worte noch nicht mächtig ist, nicht der vitalen Bestialität dient, die sich dessen rühmt, sondern dem Bilde des nicht länger entstellten und verstümmelten Menschen, das verwirklicht werden muß. Sie haben nicht durch den Inhalt sondern das Wie Ihres œuvres Nietzsche der Humanität gerettet, und das heißt nicht weniger, als daß Sie eine Idee von der Humanität gestaltet haben, die rein ist von der Ideologie und die mit aller Behutsamkeit, ja mit aller Selbstvergessenheit des Artisten hinzielt auf das Reale. Es ist unmöglich, das Werk des großen Künstlers auf eine Formel zu bringen. Aber wenn ich es wage, das, was an Ihnen zu lernen ist, mit Worten zu beschwören, dann hoffe ich, zumindest etwas von Ihrer Intention zu fassen, und hoffe zugleich und von ganzem Herzen, daß es diese Intention ist, in der die Sehnsucht der Jugend sich begegnet mit der Treue, die Sie aller Sehnsucht gehalten haben.
1952
Fußnoten
*
Als Rektor der Frankfurter Universität hatte Horkheimer Thomas Mann anläßlich einer Vorlesung aus dem Felix Krull zu begrüßen; der tatsächlich von Horkheimer verlesene Text hatte mit Adornos Entwurf vom Oktober 1952 kaum noch Ähnlichkeiten.
Heinz Krüger zum Gedächtnis
Heinz Krüger, der dem Stab der »Frankfurter Rundschau« angehörte, war einer der wenigen Schüler, mit denen zu arbeiten nicht bloß das Glück des akademischen Lehrers ausmacht, sondern dessen Beruf selber, inmitten der Krise des traditionellen Bildungswesens, noch rechtfertigt. Krüger kam von der Literaturwissenschaft her, war vorwiegend stilanalytisch interessiert und fing über Erwägungen zum Sinn der Prosaformen philosophisch Feuer. Mit erstaunlicher, weit über die bloß fachliche Vorbildung hinausreichender Energie hat er, von der Sache ergriffen, auch die philosophischen Mittel sich angeeignet.
Seine Dissertation lag auf einem jener Grenzgebiete, in denen allenthalben heute wohl die fruchtbarsten Fragen sich verbergen: sie galt dem Aphorismus als philosophischer Form. Während Krüger die stofflichen und methodischen Voraussetzungen der Arbeit der deutschen Philologie verdankte, war es ihr Sinn, den Aphorismus, der – aus Gründen, die selber kritisch zu erhellen wären – als unverbindlich, unverantwortlich, feuilletonistisch schief angesehen, nur widerstrebend geduldet wird, als eine philosophische Form eigener Art und eigenen Rechtes zu
Weitere Kostenlose Bücher