Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
Vom Netzwerk:
erweisen. Er wollte, mit anderen Worten, den Aphorismus und seine spezifischen Qualitäten aus dem Gehalt der Philosophie selber entwickeln, die in dieser Form sich darstellt, insbesondere der Nietzsches. Den Gegensatz offenen und geschlossenen Denkens, das in sich selbst reflektierte ›Nichtwissen‹, die Pointierung der Ausnahme gegen die Regel, die Paradoxie als Medium konventionsfeindlicher Wahrheit hat er hervorgehoben, um die innere Einheit gerade dessen darzutun, was dem banalen Vorurteil disziplinlos an das Viele zu verlieren sich scheint. Überaus originelle Durchblicke, insbesondere auch zur Unterscheidung des romantischen Fragments vom eigentlichen Aphorismus, öffneten sich dabei.
    Die Dissertation war als Vorstufe zu einer weit umfassenderen Deutung aphoristischen Denkens geplant. Dieser Plan ist sinnlos zerschlagen worden. Wenige Wochen nach der Promotion starb Heinz Krüger an einer Krankheit, die längst an ihm muß gezehrt haben, ohne daß er oder irgendein anderer etwas davon gewußt hätte. Vielleicht wäre er zu retten gewesen, wenn er bei den ersten warnenden Symptomen ärztliche Hilfe gesucht hätte. Um seines Berufes willen und um sein Studium zu Ende zu bringen, tat er es nicht. So läßt er die, welche ihm vertrauten und denen er vertraute, gleichwie Schuldige zurück. Nichts ist übrig als das armselige trauernde Wort, das Versprechen, er werde nicht vergessen: als jähe und reine geistige Kraft, als Mensch, dessen Reife daher rührte, daß er vom erwachsenen Leben die Naivetät nicht sich rauben ließ, etwas von jenem kindlichen Es-gut-Meinen hinüberrettete, das allein der geistigen Regung ihre produktive Freiheit schenkt.
     
    1956
     
     

Zur Einführung in Heinz Krügers »Studien über den Aphorismus als philosophische Form« *
     
    Der Freude des Lehrers, der Erstlingsarbeit eines Schülers das Geleit geben zu dürfen, gesellt sich die Trauer, daß es seine letzte blieb. Heinz Krüger ist wenige Wochen nach seiner Promotion einer Krankheit erlegen, die längst an ihm muß gezehrt haben und die zur Kenntnis zu nehmen er heroisch sich weigerte, um das Begonnene – und sein Studium – zu Ende zu bringen. Die »Studien über den Aphorismus als philosophische Form« waren als Vorstufe eines weit umfassenderen Werkes konzipiert. Sinnlos ist der Plan zerschlagen worden.
    Versucht man, dem Toten die Treue zu halten, indem man etwas von dem umreißt, was ihm vorschwebte, so ist wohl vor allem die spezifische Idee der Dissertation hervorzuheben. Es geht nicht um den Aphorismus als sprachliches Phänomen und literarische Gattung. Was ihn sprachlich bezeichnet: Konzision, Pointiertheit, Antithetik, Kürze, war längst herausgestellt. Krüger aber wollte dartun, daß der Aphorismus ein wesentliches Verhältnis hat zum philosophischen Gehalt; daß er, nach seinen eigenen Worten, »eine äußerst strenge und autonome Form des Denkens ist, die neben den großen Glaubens- und Wissensordnungen einhergeht, gleichsam als eine Buffonerie des entstellten Lebens, das gegen seine Entstellung im System jener Glaubens- und Wissensordnungen protestiert, und zwar anmaßend und vorsichtig zugleich. Ein Philosophieren neben der Philosophie im engeren Sinne, lebt der Aphorismus aus jener Diskrepanz, die sich dadurch herausstellt, daß Sein und Denken offenbar nie völlig zur Deckung gebracht werden können.«
    In Krügers Text folgt auf die Sichtung der vorhandenen Literatur eine Übersicht über die historischen Typen des Aphorismus, von Hippokrates, mit dessen Namen das Wort verbunden ist, über Montaigne, Gracián, Pascal und die französischen Moralisten bis zum romantischen Fragment. Fragmentistisches und eigentlich aphoristisches Denken ist beides »Denken in Brüchen«; das romantische Fragment jedoch lebt vom Einverständnis mit der Sprache, kraft deren es im Endlichen das Unendliche meint beschwören zu können, während im Aphorismus Kritik auf die Sprache selbst übergreift. Denken, das abbricht, möchte mit den Mitteln der Sprache von der Unwahrheit heilen, die unabdingbar der Sprache selbst innewohnt. »Die Intention des Aphorismus ist es, die Sprache für die Einsicht in die Wahrheit durchlässig zu machen – man möchte beinahe sagen: sie wegzusprechen –, ohne die Mittelbarkeit des Gesprochenen zu zerstören.«

    Ihren exemplarischen Begriff vom Aphorismus entwickelt die Arbeit an Nietzsche. Weil der Aphorismus, um sich darzustellen und mitzuteilen, notwendig auf die Sprache und ihre Logik

Weitere Kostenlose Bücher