Gesammelte Werke
plötzlich als Widersinn kenntlich wird. Dies Verfahren rechtfertigt sich freilich erst, indem es sich der gesellschaftlichen Theorie einfügt.
Es ist die eigentümliche Faszination bemerkt worden, die die Phänomene des Snobismus auf den ausüben, der sie beschreibt; derart, daß er dem Snobismus selber verfällt. Bei Sternheim wußte jeder Skribent davon zu erzählen; bei Proust bedarf es nicht einmal der Kenntnis der Briefe, den Snobismus einer Gesinnung aufzuspüren, die zugleich die unerbittlichste Analyse des Snobismus leistet, die je unternommen ward. Andererseits ist gerade im Snob-Milieu, das Proust darstellt, Snobismus eines der ärgsten und entehrendsten Schimpfwörter; bezeichnet den Eindringling, der sich mit einer Sphäre identifiziert, in die er nicht hineingehört. Ebenso steht das Wort in Hofmannsthals »Schwierigem«. Es wechselt überhaupt sein Profil so vollständig nach dem gesellschaftlichen Standort, von dem aus es gesprochen wird, wie manche alpine Gipfel nach dem Tal, aus welchem man sie visiert. Von oben ist der Snob der ambitionierte Streber, der die Aristokratie nachahmt, ohne zu ihr zu zählen; von unten erscheint snobistisch jede Haltung gesellschaftlicher Exklusivität – besonders den selbst Ambitionierten. Gemeinsam ist alldem: daß der gesellschaftliche Rang selber unerfragbar, der Diskussion enthoben sein soll; wie Proust in jenem Brief es andeutet, in dem er davon redet, er erblicke noch im Unsinn der menschlichen Stufenleiter Spuren der Gestalt einer wahren Ideenwelt. Der Snob aber ist der, der solcher Unerfragbarkeit sich unterwirft und in ihr erlischt; nach der Definition eines nicht feststellbaren Autors das »Kenotaph seiner selbst«. Die Aura des Unerfragbaren, die ihn verzehrt, ist so stark, daß sie selbst den noch in sich hineinzieht, der ihr von außen naht, um sie zu sprengen. Im Schutzkreise des Snobismus werden alle Gesten ohnmächtig, die nach ihm tasten. Solange nicht die Politik das eine Wort findet, das allen Snobismus verschwinden ließe, gibt es dagegen keine Auskunft als die Feindschaft der nächsten Nähe. Nur dem vermag die Aura sich zu lösen, der bis in die leere Zelle ihres innersten Geheimnisses gedrungen ist. Das mag auch der Grund für die rätselhafte Sympathie zwischen Snobismus und Avantgarde abgeben.
Gegen die Schreibmaschine wird stets noch von Schriftstellern eingewandt: weil sie den Innervationen der Hand nicht gehorche mit ihrer Mechanik, sei sie unfähig, den leibhaften Kontakt zwischen Gedanken und Schrift herzustellen; Schriftsteller, denen es um solchen Kontakt zu tun ist, sollten darum beim Füllfederhalter bleiben. O romantischer und unerfahrener Einwand, der dort noch das Mißtrauen gegen die Technik bewahrt, wo der Gedanke längst der Technik zuhilfe kam. Denn nirgends ist der Kontakt zwischen Gedanken und Wort enger als auf der Schreibmaschine. Freilich nicht zwischen Gedanken und Schrift. Die Hand, die ins Material der Tasten schlägt, kümmert sich nicht um das geschriebene Resultat, das weit dort oben am Horizont der Maschine vorüberschwebt. Sondern sie meißelt aus den Tasten Wortleiber, so deutlich, daß man sie oftmals in den Fingern zu halten meint, unter deren Druck sie sich plastisch aus der Tastenfläche ausformen. Der Prozeß des Schreibens ist auf der Maschine aus einem zweidimensionalen wieder dreidimensional geworden. Die Worte, so viele Jahrhunderte hindurch bloß gelesen, lassen sich wieder abtasten; so bekommen wir sie vielleicht endlich in die Gewalt, nachdem wir allzulange ihrer fremden Herrschaft ausgeliefert waren.
Der Glaube, daß den großen und erhabenen Gegenständen große und erhabene Worte zugeordnet seien, ist unausrottbar. Allemal noch dünkt sich ein Idealist, er sei schwärmender Primaner oder rechtgläubiger Philosoph, edler als ein Materialist; und wenn einer etwa bezweifelt, die Welt, in der wir existieren, sei sinnvoll, so wirft das zunächst nicht auf die Welt, sondern auf ihn ein schlechtes Licht. Die im Besitz der erhabenen Worte sich befinden, werden geneigt sein, denen die Gnade abzusprechen, die sie nicht zu gebrauchen wagen. Aber könnte es sich nicht so verhalten, daß die gemeinten Gehalte längst aus jenen Worten abgewandert sind, weil es ihnen nicht mehr darin gefiel oder weil ihnen offenbar wurde, daß sie in den Worten entstellt und zu falschem Ende eingesetzt sind? Könnten nicht die großen Worte ohnmächtig und verlassen zurückgeblieben sein, während die Gehalte bei
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