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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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geworden? Also wirklich, hör auf damit! Er reißt sich endgültig los und läuft zum Fenster.
    NATALJA folgt ihm wie eine Nachtwandlerin und murmelt immer wieder vor sich hin: Aber warum denn? Warum? Ich bin’s doch, erinnere dich … Meine liebste, heiß begehrte Leiche.
    SNEGIRJOW : Na, hör mal! Du bist fünfhundert Jahre alt! Eine alte Frau wie du sollte Gott fürchten. Allein der Gedanke ist grauenerregend!
    NATALJA bleibt stehen, als hätte er ihr einen Peitschenhieb versetzt: Blödmann! Du stinkender Kadaver! Eunuch!
    SNEGIRJOW sich besinnend: Mein Gott, entschuldige … Was ist nur in mich gefahren? Aber so geht’s doch wirklich nicht.
    NATALJA : Du Mistkerl! Du Idiot! Bildest du dir etwa ein, dass der Magister sich für dich einsetzen wird? Der lügt dir doch die Hucke voll, damit du nicht gleich morgen zur Miliz rennst und er in Ruhe überlegen kann, wie wir dich am besten aus dem Weg räumen. Was hat er dir denn ver sprochen? Was für goldene Berge? Du Vollidiot! Tote Hose! Pfui Teufel!
    In diesem Augenblick wirft Pawel Pawlowitsch einen Blick ins Schlafzimmer. Er hält ein belegtes Brot in der Hand und kaut genüsslich an einem Bissen.
    PAWEL PAWLOWITSCH : Kindchen, die zehn Minuten sind um! Anscheinend sind Sie fertig?
    NATALJA boshaft: Als ob der jemals fertig würde! Er hat noch nicht mal angefangen! Sie ordnet mit entschlossenen, exakten Bewegungen Kleid und Frisur. Ich wollte zum Abschied noch mal was von ihm haben, aber der taugt zu gar nichts mehr, Fürst! Ich begreife nicht, was Sie sich erhoffen.
    Pawel Pawlowitsch tritt zur Seite, und sie geht zielstrebig an ihm vorbei aus dem Zimmer.
    PAWEL PAWLOWITSCH : Oje, oje! Die haben Sie anscheinend beleidigt, vor den Kopf gestoßen … Das bringt nichts. Setzt sich auf die Liege und beißt von seinem Brot ab. Das war unüberlegt. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass wir auf solche Feinheiten und Nuancen sehr empfindlich reagieren? Haben Sie nicht bemerkt, wie Bassawrjuk der Marquise die Sache in die Schuhe schieben wollte? Es sollte so aussehen, als hätte sie Ihnen aus weiblicher Schwäche unsere Geheimnisse verraten. Ein simpler Schach zug, aber sehr, sehr wirkungsvoll. Ohne seine Feigheit wäre er damit vielleicht sogar durchgekommen. Sehr wahrscheinlich sogar. Und warum hat er das gemacht? Wegen eines kleinen Missverständnisses, das vor siebzig Jahren passiert ist – oder vor hundert, genau erinnere ich mich nicht mehr. Da hat ihm die Marquise einen Korb gegeben. Nicht dass er leidenschaftlich in sie verliebt gewesen wäre, nein! Aber sie hat ihm einen Korb gegeben, das heißt, sie, die noch nie zu irgendjemandem nein gesagt hat, ließ ihn abblitzen … Verstehen Sie? Sie glauben es nicht, aber auch nach siebzig Jahren ist das nicht vergessen, und nach hundertsiebzig Jahren auch nicht! Überhaupt mögen wir uns alle nicht besonders. Warum sollte ich sie auch mögen? Es sind streitsüchtige, kleinliche, unbegabte Kreaturen. Iwan Dawydowitsch, unser Magister, hat zwar eine hohe Meinung von sich, ist aber in Wirklichkeit ein ganz gewöhnlicher Federfuchser. Ich habe mich mal in seinem Institut umgehört. Da ist er der ewige Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees. Von wegen – der Freund Mendelejews! Außerdem ist mir schleierhaft, was der Rittmeister an ihm findet! Woher diese hündische Unterwürfigkeit? Aber stehen Sie doch nicht so in der Ecke herum, Felix Alexandrowitsch, setzen Sie sich zu mir, unterhalten wir uns.
    Snegirjow lässt sich am anderen Ende der Liege nieder, zündet sich eine Zigarette an und beobachtet Pawel Pawlowitsch aus den Augenwinkeln.
    Pawel Pawlowitsch holt gemächlich eines der silbrigen Röhrchen aus dem Etui, beträufelt den letzten Happen damit und schiebt ihn sich, schwelgerisch die Augen verdrehend, in den Mund. Er schmatzt, saugt und dreht wie in Ekstase den Kopf hin und her.
    PAWEL PAWLOWITSCH schluckt den Happen hinunter und fährt fort: Das ist, was ihr Sterblichen nicht ergründen könnt: Geschmack! Ihr habt einfach keinen Geschmack und kennt auch keinen Genuss. Manchmal stehe ich so im Restaurant, sehe den Menschen beim Essen zu und denke: »Mein Gott! Sind das wirklich Menschen? Zum Denken fähige Wesen?« Sie essen nicht, Felix Alexandrowitsch! Sie stopfen sich einfach Brocken in den Mund! Das ist ein rein mechanischer Prozess – wie wenn ein grobschlächtiger, schmutziger Heizer mit seiner riesigen Schippe Kohlenbrocken in die Feuerung wirft … Ein abstoßender Anblick, kann ich Ihnen sagen. Übrigens

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