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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Wegweiser: »Leprosorium – 6 km« und »Sanatorium ›Heiße Quellen‹ – 2,5 km«. Die Gestalten – ein Mann und zwei Kinder – traten an den Straßenrand zurück.
    »Halten Sie mal«, bat Viktor plötzlich heiser.
    »Was ist passiert?« Golem bremste.
    Viktor antwortete nicht, sondern betrachtete die drei, die unter dem Wegweiser standen: den hochgewachsenen schwar zen Nässling im durchnässten Trainingsanzug, den Jungen, der ebenfalls keinen Regenmantel, sondern einen durchweichten Anzug und Sandalen trug, und das barfüßige Mädchen im Kleid, das an seinem Körper festklebte. Dann riss er den Wagenschlag auf und sprang auf die Chaussee. Der Wind peitschte ihm den Regen ins Gesicht, dass es ihm den Atem verschlug, aber er merkte nichts davon. Er verspürte jene rasende Wut, in der man alles kurz und klein schlagen möchte, in der man genau weiß, dass man eine Dummheit begeht, aber Freude darüber empfindet. Steifbeinig trat er dicht an den Nässling heran.
    »Was ist hier los?«, stieß er durch die Zähne. Dann sagte er zu dem Mädchen, das ihn erstaunt ansah: »Irma, steig sofort ein!« Und dann wieder zu dem Nässling: »Was, zum Teufel, machen Sie hier?« Und, wieder zu Irma: »Marsch ins Auto, kannst du nicht hören?«
    Irma rührte sich nicht. Alle drei standen da wie zuvor; die Augen des Nässlings über der schwarzen Binde blickten ihn gleichgültig an. Dann sagte Irma mit einer schwer deutbaren Intonation: »Das ist mein Vater.« Und er spürte plötzlich instinktiv, dass es hier nicht anging herumzubrüllen, die Fäuste zu schütteln und Drohungen auszustoßen, jemanden am Schlafittchen zu packen und irgendwohin zu zerren. Über haupt durfte er nicht verrückt spielen.
    Und so sagte er ganz ruhig: »Irma, steig ein, du bist ja völlig durchnässt. Bol-Kunaz, an deiner Stelle würde ich auch mitfahren.« Er war überzeugt, dass Irma gehorchen würde, und sie tat es. Aber nicht so, wie er es sich gewünscht hätte. Nein, nicht dass sie den Nässling auch nur mit einem Blick um Erlaubnis gebeten hätte, aber Viktor hatte trotzdem den Eindruck, als wäre da etwas gewesen, eine Art Gedankenaustausch, eine kurze Beratung, in der die Frage zu seinen Gunsten entschieden wurde.
    Irma ging hochnäsig zum Wagen, Bol-Kunaz aber sagte höflich: »Ich danke Ihnen, Herr Banew, aber wirklich, ich möchte lieber bleiben.«
    »Wie du willst«, meinte Viktor. Bol-Kunaz interessierte ihn wenig. Jetzt musste er diesem Nässling noch ein paar Worte sagen. Viktor wusste im Voraus, dass es etwas ganz Dummes sein würde, aber was sollte er machen – einfach so gehen konnte er auch nicht. Schon wegen seines Ansehens.
    Und er sagte hochmütig: »Sie, Gnädigster, lade ich nicht ein. Sie fühlen sich hier offenbar wie ein Fisch im Wasser.«
    Nachdem er dem Nässling den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, drehte er sich um und ging zum Auto. Mit diesen Worten, dachte er angewidert, entfernte sich der Graf …
    Irma hockte mit angezogenen Beinen auf dem Vordersitz und drückte ihre Rattenschwänzchen aus. Viktor stieg mit einem verlegenen Räuspern hinten ein, und als Golem losfuhr, sagte er: »Mit diesen Worten entfernte sich der Graf … Streck mir die Füße her, Irma, ich reib sie dir trocken.«
    »Wozu?«, fragte Irma neugierig.
    »Willst du dir eine Lungenentzündung holen? Her mit den Füßen!«
    »Bitte«, sagte Irma, drehte sich auf ihrem Sitz um und streckte ein Bein nach hinten.
    Voller Freude, endlich etwas Nützliches tun zu können, ergriff Viktor mit beiden Händen den rührend zarten und nassen Mädchenfuß, um ihn mit väterlichen Händen zu reiben – bis es rot würde, dieses schmutzige, knochige Stück Eis, den ewigen Begleiter des Schnupfens, der Grippe, der Katarrhe der Atemwege und der doppelseitigen Pneumonien. Doch dann musste er entdecken, dass seine Hände kälter waren als ihr Fuß. Mechanisch machte er ein paar Streichbewegungen und ließ dann den Fuß vorsichtig los. Ich hab’s gewusst, dachte er plötzlich, schon, als ich vor ihnen stand, wusste ich, dass das eine Falle ist, dass den Kindern gar nichts droht, weder ein Katarrh noch eine Lungenentzündung. Aber das gefiel mir nicht, ich wollte sie retten, wollte sie seinen Klauen entreißen, meinem gerechten Zorn freien Lauf lassen und meine Pflicht erfüllen, und wieder haben sie mich an der Nase herumgeführt, wieder bin ich der Dumme, das zweite Mal an diesem Tag …
    »Nimm den Fuß weg«, sagte er zu Irma.
    Irma nahm den Fuß weg und

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