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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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fragte: »Wo fahren wir hin? Ins Sanatorium?«
    »Ja«, antwortete Viktor und schielte zu Golem hinüber – hatte der seine Blamage mitgekriegt? Der grauhaarige Golem hockte auf dem Fahrersitz; schwerfällig, krumm und allwissend starrte er ungerührt auf die Straße.
    »Und wozu?«, fragte Irma.
    »Du ziehst etwas Trockenes an und legst dich ins Bett«, schlug Viktor vor.
    »Das fehlte mir gerade noch!«, rief Irma. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Schon gut«, murmelte Viktor. »Ich gebe dir was zu lesen.«
    Ja, wirklich, was schleppe ich sie dahin?, dachte er. Diana … Na ja, wir werden sehen. Also keine Sauferei und nichts dergleichen. Aber wie bringe ich sie zurück? Ach, zum Teufel, ich schnappe mir irgendeinen Wagen und schaffe sie weg. Ein kräftiger Schluck würde mir jetzt guttun.
    »Golem …«, setzte er an, besann sich aber. Verflixt, das ging ja nicht.
    »Ja?«, meinte Golem, ohne sich umzudrehen.
    »Nein, nein, es ist nichts.« Viktor seufzte und starrte auf die Taschenflasche, die aus Golems Regenmantel ragte. »Irma«, sagte er gequält. »Was habt ihr da an der Kreuzung gemacht?«
    »Wir haben Nebel gedacht«, antwortete Irma.
    »Was habt ihr gemacht?«
    »Nebel gedacht«, wiederholte Irma.
    »An Nebel«, berichtigte Viktor.
    »Wieso an Nebel?«, wunderte sich Irma.
    »Denken ist ein intransitives Verb«, erklärte Viktor, »und verlangt eine Präposition. Habt ihr die intransitiven Verben noch nicht behandelt?«
    »Das kommt doch darauf an«, sagte Irma. »Nebel denken ist etwas anderes als an Nebel denken. Wozu sollte man an Nebel denken?«
    Viktor kramte nach einer Zigarette und zündete sie an.
    »Warte mal«, bat er. »Nebel denken sagt man nicht, das ist falsch. Es gibt nun mal Verben, die intransitiv sind: denken, laufen, gehen … Sie verlangen immer eine Präposition. Über die Straße gehen, denken an … nun, an irgendwas.«
    »Dummes Zeug denken«, warf Golem ein.
    »He, das ist eine Ausnahme«, rief Viktor, leicht konfus.
    »Schnell gehen«, schlug Golem vor.
    »Schnell ist kein Substantiv«, erwiderte Viktor heftig. »Brin gen Sie das Kind nicht durcheinander, Golem.«
    »Könntest du die Zigarette ausmachen, Papa?«, fragte Irma.
    Golem gab irgendein Geräusch von sich, oder der Motor hustete, weil es bergauf ging. Viktor drückte die Zigarette zusammen und zertrat sie mit dem Absatz. Während sie bergauf zum Sanatorium fuhren, rückte von der Steppe her eine dichte weiße Wand gegen den Regen vor.
    »Da hast du deinen Nebel«, sagte Viktor. »Jetzt kannst du ihn denken, ja sogar riechen, laufen oder gehen.«
    Irma wollte etwas erwidern, Golem aber unterbrach sie.
    »Übrigens wird denken auch mit Nebensätzen gebraucht. Zum Beispiel: Ich denke, dass … und so weiter.«
    »Das ist wieder was anderes«, protestierte Viktor. Er hatte jetzt genug davon. Er wollte rauchen und etwas trinken. Lüs tern starrte er auf den Flaschenhals.
    »Ist dir kalt, Irma?«, fragte er mit einer vagen Hoffnung.
    »Nein. Dir?«
    »Mich fröstelt’s«, gestand Viktor.
    »Trinken Sie einen Schluck Gin«, riet Golem.
    »Ja, das wäre gut. Haben Sie welchen?«
    »Ja«, antwortete Golem. »Aber wir sind auch gleich da.«
    Der Jeep rollte durch das Tor, und dann ereigneten sich Dinge, die Viktor nicht bedacht hatte … Durch den Gitterzaun krochen gerade die ersten Nebelschwaden, und die Sicht war gut: Auf der Zufahrt zum Sanatorium lag ein Mann im nassen Schlafanzug – als liege er hier schon seit Jahr und Tag. Golem machte vorsichtig einen Bogen um ihn, wich einer Gipsvase mit primitiven Zeichnungen und Aufschriften aus und hielt neben dem Wagenpulk vor dem Eingang zum rechten Flügel. Irma hatte kaum die Tür geöff net, als im Wagenfenster nebenan eine ausgemergelte Visage auftauchte und krächzte: »He, Kleine, soll ich mich dir hingeben?« Starr vor Schreck, stieg Viktor aus. Irma sah sich neugierig um. Viktor nahm sie fest beim Arm und führte sie zur Freitreppe. Auf den Stufen saßen im Regen eng umschlungen zwei Mädchen in Unterwäsche und grölten ein Lied von einem grausamen Apotheker, der ihnen kein Heroin abgab. Bei Viktors Anblick verstummten sie, aber als er an ihnen vorbeiging, versuchte eins der Mädchen, ihn am Hosenbein festzuhalten. Viktor schob Irma ins Vestibül. Hier war es dunkel, die Fenster waren verhängt, es roch säuerlich und nach Qualm, ein Filmprojektor ratterte, und über eine weiße Wand huschten pornografische Szenen. Viktor biss die Zähne zusammen, kletterte über die

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