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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Ah, hier. Die Nässlinge hetzen die Kinder auf? Na ja, da wären sie nicht die Ersten.« Er ließ sich im Regenmantel auf die Liege fallen und schnupperte an seinem Glas. »Warum sollte man denn in unserer Zeit nicht die Kinder gegen ihre Eltern aufhetzen, wo man doch die Weißen gegen die Schwarzen, die Gelben gegen die Weißen und die Dummen gegen die Klugen aufhetzt? Was verwundert Sie so daran?«
    »Pavor behauptet«, wiederholte Viktor, »dass Ihre Kranken in der Stadt herumlaufen und den Kindern merkwürdige Dinge beibringen. Mir ist das auch schon aufgefallen, obwohl ich mich da vorläufig noch zurückhalte. Ich wundere mich also über gar nichts und frage Sie nur: Ist es wahr oder nicht?«
    »Soviel ich weiß«, setzte Golem an und nahm einen Schluck Gin, »hatten die Nässlinge schon immer freien Zugang zur Stadt. Ich weiß nicht, was Sie meinen, wenn Sie behaupten, dass sie den Kindern merkwürdige Dinge beibringen, aber gestatten Sie mir, Ihnen, der Sie hier in der Stadt geboren sind, eine Frage zu stellen: Kennen Sie ein Spielzeug, das ›Böser kleiner Wolf‹ heißt?«
    »Natürlich«, antwortete Viktor.
    »Hatten Sie so ein Spielzeug?«
    »Ich nicht, aber soweit ich mich erinnere, hatten andere Kinder eins.« Viktor verstummte. »Tatsächlich«, erinnerte er sich. »Die Kinder erzählten, den ›Kleinen Wolf‹ habe ihnen ein Nässling geschenkt. Ist es das, was Sie meinen?«
    »Ja. Und auch einen ›Wettermann‹ und eine ›Hölzerne Hand‹ …«
    »Pardon«, warf Pavor ein. »Dürfte ich als Hauptstädter er fahren, wovon die Einheimischen reden?«
    »Nein«, sagte Golem, »das übersteigt Ihre Kompetenz.«
    »Woher wissen Sie, was meine Kompetenz übersteigt und was nicht?«, fragte Pavor beleidigt.
    »Ich weiß es eben«, erklärte Golem. »Weil ich das so will. Und hören Sie auf zu schwindeln: Sie haben doch versucht, Teddy den Wettermann abzuhandeln, Sie wissen also ganz genau, worum es sich handelt.«
    »Ach, scheren Sie sich zum Teufel«, sagte Pavor gereizt. »Ich spreche hier nicht vom Wettermann …«
    »Warten Sie, Pavor«, unterbrach ihn Viktor ungeduldig. »Golem, Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
    »Wirklich nicht? Ich dachte, schon. Sehen Sie, Viktor, die Nässlinge sind schwer krank, hoffnungslos krank. So eine genetische Krankheit ist etwas Furchtbares, aber sie bleiben dennoch gütig, und sie sind klug, sodass man sie nicht beleidigen sollte.«
    »Wer beleidigt sie denn?«
    »Beleidigen Sie sie etwa nicht?«
    »Bis jetzt noch nicht. Eher im Gegenteil.«
    »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, meinte Golem und stand auf. »Fahren wir.«
    Viktor wunderte sich. »Fahren? Wohin?«
    »Ins Sanatorium. Ich fahre ins Sanatorium, und wie ich sehe, wollen Sie auch dorthin. Und Sie, Pavor, sollten ins Bett gehen. Sie stecken bloß alle an.«
    Viktor sah auf die Uhr. »Ist es nicht noch zu früh?«
    »Wie Sie wollen. Aber denken Sie daran, dass die Buslinie heute eingestellt wird. Sie rentiert sich nicht mehr.«
    »Vielleicht sollten wir erst essen gehen?«
    »Wie Sie wollen«, wiederholte Golem. »Aber ich esse mittags nie etwas. Und Sie sollten es sich auch abgewöhnen.«
    Viktor befühlte seinen Bauch. »Sie haben recht«, sagte er. Dann warf er Pavor einen Blick zu. »Dann werde ich wohl mitfahren.«
    »Von mir aus.« Pavor war beleidigt. »Aber bringen Sie mir ein paar Bücher mit.«
    »Bestimmt«, versprach Viktor und zog sich an.
    Als sie in dem feuchten, nach Tabak, Benzin und Medikamenten riechenden Wagen unter der feuchten Plane saßen, sagte Golem: »Verstehen Sie, wenn man Ihnen einen Wink gibt?«
    »Manchmal«, erwiderte Viktor. »Wenn ich weiß, dass es einer ist. Wieso?«
    »Passen Sie auf: Jetzt kommt ein Wink. Hören Sie auf zu schwatzen.«
    »Hm«, knurrte Viktor. »Wie darf ich das verstehen?«
    »Als Wink. Hören Sie auf, die Zunge zu wetzen.«
    »Mit Vergnügen«, erwiderte Viktor und verstummte nach denklich.
    Sie durchquerten die Stadt, fuhren an der Konservenfabrik vorbei durch den menschenleeren, verwilderten und vor Nässe triefenden Stadtpark, passierten das Stadion, in dem die schmutzstarren »Brüder im Geiste« mit aufgequollenen Fußballschuhen hartnäckig gegen einen aufgequollenen Ball traten, und erreichten endlich die Chaussee zum Sanatorium. Ringsum, hinter der Wand aus Regen, lag die nasse Steppe, die flach war wie eine Tischplatte. Früher war sie trocken, verdorrt und stachlig gewesen, verwandelte sich jetzt aber allmählich in eine

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