Gesammelte Werke
begnadigt zu werden. Unsere Besprechung wurde durch den Befehl: »Alle Mann an Deck! Segel reffen!« unterbrochen, und ich allein blieb im Vorderkastell zurück.
Wie gewöhnlich, war die Mannschaft bis auf den Letzten betrunken, und bevor man ordentlich ans Reffen gehen konnte, hatte eine heftige Bö das Schiff vornüber gelegt; doch gelang es, die Brigg wieder aufzurichten, nachdem sie eine Menge Wassers eingenommen hatte; kaum war alles in Ordnung, da kam eine zweite Bö und noch eine, aber es geschah kein Schaden. Ein Sturm schien sich vorzubereiten, und in der Tat blies er bald in großer Wut aus Norden und Westen. Man machte alles so fest wie möglich, und wir legten bei, wie gewöhnlich, unter gerefften Focksegeln. Die Nacht kam heran, der Sturm nahm an Heftigkeit zu, die See ging auffallend hoch. Peters kam nun mit Augustus ins Vorderkastell, und wir nahmen unsere Beratungen wieder auf.
Wir waren darin einig, dass keine Gelegenheit für die Ausübung unseres Vorhabens günstiger sein könne als die gegenwärtige, da ein Angriff in diesem Augenblick unmöglich erwartet würde. Man brauchte, bis wieder gutes Wetter eintrat, nicht zu manövrieren; dann könnten wir im Fall des Gelingens einen oder zwei von den Leuten verschonen, damit sie uns hülfen, das Schiff in den Hafen zu bringen. Die Hauptschwierigkeit lag in der großen Ungleichheit der Streitkräfte. Wir waren unser nur drei, die Kajüte zählte neun Mann. Alle Waffen befanden sich in ihrem Besitz außer ein paar kleinen Pistolen, die Peters an seinem Leib versteckt hatte, und dem großen Seemannsmesser, das er stets im Hosengürtel trug. Aus gewissen Anzeichen – zum Beispiel, dass Äxte und Handspeichen nicht mehr an ihrem gewöhnlichen Ort lagen – schlossen wir auf einen Verdacht des Maats, wenigstens auf Peters, und dass jener keine Gelegenheit vorübergehen lassen würde, sich des Halbbluts zu entledigen. Was wir beschlossen hatten, musste bald getan werden, soviel war uns klar. Doch waren wir so sehr im Nachteil, dass wir nur mit der größten Behutsamkeit vorgehen durften.
Peters schlug vor, wir sollten an Deck gehen, dort wollte er ein Gespräch mit der Wache (Allen) beginnen und ihn dann ohne Umstände über Bord werfen; dann sollten Augustus und ich herankommen, uns mit irgendwelchen Waffen versehen und im Sturm den Eingang der Kajüte besetzen, ehe an Widerstand zu denken war. Dem widersprach ich, denn ich konnte nicht glauben, dass der Maat, ein verdammt schlauer Kerl in allen Dingen, die nichts mit seinem Aberglauben zu tun hatten, sich so leicht überfallen ließe. Die Tatsache, dass eine Wache auf dem Verdeck war, genügte schon als Beweis für sein Misstrauen; denn auf Schiffen ohne Disziplin ist dergleichen nicht üblich, sobald das Schiff beigelegt hat. Da ich mich zumeist an Leser wende, die nie auf der See gewesen sind, möchte ich hier die Lage eines Fahrzeuges unter derartigen Umständen näher beschreiben. »Beilegen« ist eine Maßnahme, zu der man zu verschiedenen Zwecken und auf verschiedene Art seine Zuflucht nimmt. Bei leidlichem Wetter handelt es sich oft nur darum, das Schiff aufzuhalten, etwa um auf ein anderes Schiff zu warten oder zu ähnlichem Zweck. Fährt das Schiff mit vollen Segeln, so pflegt man einen Teil der Segel zu brassen, so dass sie der Wind back legt und das Schiff stehen bleibt. Aber gegenwärtig handelt es sich um das Beilegen während eines Sturmes. Das geschieht, wenn der Wind voraus ist und seine Heftigkeit eine größere Segellast nicht ohne Gefahr des Kenterns gestattet; manchmal sogar bei gutem Wind, wenn die See zu hoch geht. Lässt man ein Schiff bei stark bewegter See vor dem Wind treiben, so kann es leicht zuviel Wasser über den Stern bekommen, zuweilen auch durch das starke Tauchen des Vorderteils. Dieses Manöver wird daher nur im Notfall angewendet. Leckt das Schiff, so lässt man es oft in der ärgsten See vor dem Wind treiben, denn es könnten sonst seine Fugen durch den lebhaften Widerstand erweitert werden, und da ist das Treibenlassen immer noch ratsamer. Häufig wird’s auch nötig, ein Schiff treiben zu lassen, wenn entweder der Sturm so entsetzlich ist, dass er die Segel zerreißen würde, oder wenn infolge von Fehlern in der Konstruktion oder aus anderen Gründen der Kopf des Schiffes nicht gegen den Wind gerichtet werden kann.
Schiffe, die sich in einem Sturm befinden, werden je nach ihrem Bau auf verschiedene Art beigelegt. Manche liegen am besten unter Focksegel; es wird,
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