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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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beschloss daher, zunächst die andere Kette zurückzuerobern. Indem ich den Boden befühlte, stieß ich auf etwas Hartes, das ich sofort erfasste, obwohl ich keine Zeit hatte, die Natur des Gegenstandes festzustellen. Es war eine Flasche, und man kann sich unsere Freude ausmalen, wenn ich sage, dass sie mit Portwein gefüllt war. Wir dankten Gott für diese willkommene und ermutigende Hilfe, öffneten den Kork mit meinem Taschenmesser und taten ein jeder einen bescheidenen Schluck. Die Wärme, die Kraft, die Belebung, die wir daraus schöpften, spendeten uns unermesslichen Trost. Dann korkten wir die Flasche sorgfältig zu und hingen sie mit einem Taschentuch so auf, dass sie nicht zerbrochen werden konnte.
    Eine Weile nach dieser glücklichen Entdeckung ruhten wir erst, dann stieg ich abermals hinab und fand nun die Kette, mit der ich emportauchte. Ich befestigte sie an mir und tauchte ein drittes Mal, bis ich überzeugt war, dass in dieser Lage keine Macht der Welt die Tür der Vorratskammer aufzubrechen vermöchte. Verzweifelnd kehrte ich um.
    Jetzt schien kein Raum mehr für irgendwelche Hoffnung, und ich sah in den Zügen meiner Gefährten, dass sie sich in ihr Schicksal ergeben wollten. Der Wein hatte offenbar eine Art Delirium in ihnen erzeugt, vor dem ich vielleicht durch mein Untertauchen bewahrt geblieben war. Sie redeten ohne Zusammenhang und von Dingen, die mit unserer Lage nichts zu tun hatten; Peters fragte mich wiederholt über Nantucket aus. Auch Augustus kam, wie ich mich erinnere, mit ernster Miene auf mich zu und bat mich, ihm einen Taschenkamm zu leihen, da sein Haar voller Fischschuppen sei, die er heraus haben wolle, bevor er an Land ginge. Parker erschien mir etwas vernünftiger; er riet mir, aufs Geratewohl in die Kajüte zu tauchen und das erste beste mit heraufzubringen. Ich stimmte zu, und nach einer Minute brachte ich einen kleinen Lederkoffer herauf, der Kapitän Barnard gehört hatte. Man öffnete ihn sofort in der Hoffnung, etwas zum Trinken oder Essen darin zu finden. Jedoch wir fanden nichts außer einem Rasiermesserkasten und zwei Leinenhemden. Wieder tauchte ich und kam unverrichteter Dinge zurück. Wie mein Kopf über Wasser war, hörte ich auf dem Verdeck einen Krach und merkte alsbald, dass die Undankbaren meine Abwesenheit benutzt hatten, um den Rest des Weines auszutrinken; bei dem Versuch, die Flasche unbemerkt an ihren Platz zu hängen, war sie ihnen zerschellt. Ich machte ihnen Vorwürfe über ihre Herzlosigkeit. Augustus brach in Tränen aus. Die anderen versuchten, die Sache als einen Spaß hinzustellen und lachten – möge ich nie wieder solch Lachen sehen; die Verzerrung ihrer Gesichter war geradezu fürchterlich. In der Tat schienen ihre leeren Mägen eine heftige Wirkung des Weines begünstigt zu haben; sie waren im höchsten Grad berauscht. Mit größter Not veranlasste ich sie zum Liegen, worauf sie bald in einen schweren Schlaf sanken, der von lautem, röchelndem Atem begleitet war.
    Ich befand mich jetzt so gut wie allein an Bord, und meine Betrachtungen waren, das lässt sich wohl denken, von der bängsten und düstersten Art. Keine Aussicht bot sich mir außer einem langsamen Hungertod oder im besten Fall der Vernichtung durch den ersten Sturm, der sich erheben würde; denn in unserm gegenwärtigen Zustand durften wir nicht hoffen, einen neuen Anprall zu überleben.
    Unerträglich fast war der nagende Hunger, den ich jetzt empfand, und ich fühlte mich fähig, zu seiner Befriedigung alles und jedes zu tun. Mit dem Messer schnitt ich ein Stückchen vom Lederkoffer ab und versuchte es zu essen; aber es war mir unmöglich, auch nur einen Bissen hinabzuwürgen, obwohl mir schien, das Kauen und Ausspucken kleiner Teilchen gewähre mir Erleichterung. Gegen Abend erwachten meine Genossen, einer nach dem anderen, ein jeder in einem unbeschreiblichen Zustand von Schwäche und Grausen, einer Folge des Weingenusses. Der Rausch war verflogen, sie zitterten wie im heftigsten Schüttelfrost, sie schrien jämmerlich nach Wasser. Ihr Zustand ergriff mich auf die schmerzlichste Art, zugleich aber freute ich mich, dass eine Reihe günstiger Umstände mich vor übermäßigem Trinken bewahrt hatte; denn sonst hätte ich ihre höchst traurige, höchst quälende Verfassung teilen müssen. Doch beunruhigte und erschreckte mich ihr Benehmen nicht wenig; sie waren, trat nicht eine unvorhergesehene Glückswendung ein, außerstande, mich in der Arbeit für unsere gemeinsame Rettung zu

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