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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Täuschung überzeugt hatte. Dann brach er in eine Flut von Tränen aus, heulte wie ein Kind unter lautem Schluchzen und Schreien, bis er endlich vor Entkräftung einschlief.
    Peters und Augustus machten ein paar vergebliche Versuche, etwas von jenem Leder hinunterzuschlucken. Ich riet ihnen nun das Kauen und Ausspeien an; doch waren sie bereits zu schwachsinnig, um meinem Rat folgen zu können. Ich setzte das Kauen fort, und es verschaffte mir einige Erleichterung; meine größte Sehnsucht aber ging nach Wasser, und nur die Erinnerung an die grässlichen Folgen, die anderen in ähnlicher Lage aus dem Genuss von Seewasser erwachsen waren, hielt mich vom Trinken ab.
    So ging der Tag dahin; da entdeckte ich auf einmal ein Segel im Osten, über Backbord. Ein großes Schiff schien es zu sein, und es kreuzte nahezu unseren Kurs in der Entfernung von etwa zwölf oder fünfzehn Meilen. Keiner meiner Gefährten hatte es gesehen, und ich hütete mich, sie darauf aufmerksam zu machen, damit wir nicht abermals enttäuscht würden. Doch als es näher kam, sah ich deutlich, dass es auf uns zuhielt, die leichten Segel vom Wind geschwellt. Ich konnte jetzt nicht länger an mich halten, ich wies meinen Leidensgenossen das Schiff. Sie sprangen alsbald in die Höhe, ergaben sich abermals den ausgelassensten Freudenbezeigungen, weinten, lachten auf trottelhafte Art, machten Luftsprünge, stampften das Verdeck, rissen sich die Haare aus, beteten und fluchten abwechselnd. Ihr Benehmen und die scheinbar gewisse Aussicht auf Rettung ergriffen mich so sehr, dass ich mich nicht enthalten konnte, an ihrem Wahnwitz teilzunehmen; so drückte denn auch ich meinen leidenschaftlichen Dank, meine Begeisterung dadurch aus, dass ich mich auf dem Verdeck herumwälzte, in die Hände klatschte, brüllte und mich überhaupt wie ein Toller betrug, bis ich auf einmal wieder in alle Tiefen des Jammers stürzte; denn das Schiff kehrte uns jetzt den Stern zu und steuerte in einer Richtung, die der vorigen ganz entgegengesetzt war.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis ich meine armen Gefährten davon überzeugt hatte, dass unsere Hoffnung abermals getäuscht worden sei. Ihre Antwort auf alle meine Versicherungen war, dass sie mich groß ansahen, als wären sie nicht geneigt, derartigen Täuschungsversuchen Glauben zu schenken. Am schmerzlichsten ergriff mich Augustus’ Verhalten. Trotz aller meiner Beweise des Gegenteils bestand er darauf, das Schiff nähere sich in fliegender Eile, und begann sich bereitzuhalten, drüben an Bord zu gehen. Vorüberschwimmenden Seetang bezeichnete er hartnäckig als das erwartete Boot und schickte sich an, hinüberzuspringen, wobei er in der herzzerreißendsten Weise heulte und schrie, während ich ihn mit aller Kraft daran hindern musste, sich ins Meer zu werfen.
    Allmählich wurden wir ruhiger; lange blickten wir dem Schiff nach, bis es endlich im Nebel der Ferne verschwand; denn das Wetter wurde dunstig, eine leichte Brise erhob sich. Als das Schiff gänzlich unsichtbar geworden war, wendete sich Parker plötzlich zu mir mit einem Ausdruck im Gesicht, der mich schaudern machte. Er hatte eine Sicherheit der Haltung, die ihm zuvor nicht eigen war, und ehe er noch die Lippen geöffnet hatte, sagte mir mein Herz, was er sprechen würde. In wenigen Worten machte er den Vorschlag, einer von uns müsse sterben, um die anderen am Leben zu erhalten.
Zwölftes Kapitel
    Ich hatte schon eine Zeitlang an die Möglichkeit gedacht, dass wir zu diesem letzten grauenvollen Schluss gelangen würden, und war im stillen entschlossen, lieber den Tod, in welcher Form immer, zu erleiden, als unter irgendwie gearteten Umständen ein solches Mittel ergreifen zu lassen. Die Entsetzlichkeit meiner Hungerqualen änderte nichts an der Festigkeit dieses Vorsatzes. Weder Peters noch Augustus hatten den Vorschlag vernommen. Daher nahm ich Parker beiseite, und indem ich innerlich zu Gott flehte, er möge mich in meinem Vorhaben stärken, suchte ich ihn von seinem grässlichen Plan abzubringen. Ich rang lange Zeit mit ihm, bat und beschwor ihn, bei allem, was ihm heilig sei, bedrängte ihn mit jeglichem Vernunftsgrund, den die Lage mir eingab, er möchte den Gedanken aufgeben und den anderen davon nichts sagen.
    Er hörte alles an, ohne eine Widerlegung zu versuchen, und schon begann ich zu hoffen, dass er mir nachgeben würde. Aber als ich fertig war, sagte er: er wisse sehr gut, dass ich recht habe, dass die Zuflucht zu solchem Gräuel das Furchtbarste sei,

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