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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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wozu sich ein Mensch entschließen könne; aber jetzt habe er so lange geduldet, wie die menschliche Natur es zulasse; es sei unnütz, dass alle zugrunde gehen sollten, wenn es möglich und wahrscheinlich sei, dass der Tod des einen die anderen retten werde; ich möchte mir nur keine Mühe mehr geben, ihn von seinem Vorhaben abwendig zu machen, sein Entschluss habe schon vor dem Erscheinen des Schiffes festgestanden und nur sein Insichtkommen habe ihn daran gehindert, diese Absichten schon früher kundzutun.
    Jetzt bat ich ihn, er möge den Plan wenigstens aufschieben, es könne noch immer irgendein Schiff uns zu Hilfe kommen; wiederum kam ich mit jedem Beweisgrund, von dem ich dachte, er würde auf seine raue Natur von Einfluss sein. Er erwiderte, er habe nicht eher gesprochen, als bis er nicht mehr anders konnte; eine längere Existenz ohne Nahrung sei unmöglich, am nächsten Tag würde, wenigstens was ihn beträfe, sein Vorschlag zu spät kommen.
    Da ihn gar nichts von dem, was ich in sanftem Ton vorbrachte, zu rühren vermochte, schlug ich jetzt einen anderen Weg ein; ich sagte ihm, er müsse sehen, dass ich weniger als die Übrigen gelitten habe, dass meine Gesundheit und Kraft größer sei als ihre, kurz und gut, dass ich Gewalt anwenden würde, falls es nötig sei, und ihn, sollte er jenen seine blutigen Kannibalengedanken enthüllen, ohne Zögern ins Meer werfen würde. Darauf packte er mich beim Hals, zog sein Messer und versuchte wiederholt, es mir in den Magen zu stoßen; nur seine außerordentliche Schwäche verhinderte ihn an der Ausführung dieser Gewalttat. Nun flammte aber mein Zorn hoch auf, ich drängte ihn an die Brüstung in der festen Absicht, ihn über Bord zu stoßen. Doch rettete ihn die Dazwischenkunft von Dirk Peters, der uns trennte und fragte, was denn los sei. Ehe ich Parker daran hindern konnte, hatte er schon den Grund des Zerwürfnisses mitgeteilt.
    Die Wirkung seiner Worte war noch weit entsetzlicher, als ich es mir vorstellte. Sowohl Augustus wie auch Peters, die offenbar längst im Stillen den gleichen Schreckensgedanken gehegt hatten, gaben Parker recht und bestanden auf sofortiger Ausführung seines Vorschlages. Ich hatte erwartet, wenigstens einer von beiden würde Überlegung genug besitzen, mir den Widerstand gegen die schrecklichen Pläne Parkers leichter zu machen; und mit Hilfe des einen oder anderen hätte ich keine Furcht gehabt, dass mein Versuch, dagegen aufzutreten, zuschanden werden könne. Da ich in dieser Erwartung getäuscht war, wurde es höchste Zeit, an die eigene Sicherheit zu denken, denn ein fernerer Widerstand meinerseits konnte die Rasenden veranlassen, mir in der bevorstehenden Tragödie keine ehrliche Behandlung zuzubilligen.
    Ich erklärte nun meine Zustimmung und bat nur um eine Stunde Aufschub, damit der Nebel Zeit habe, sich aufzulösen; dann wäre es ja nicht unmöglich, dass wir das Schiff wieder erblicken würden. Sie gingen nach längerem Hin und Her darauf ein, und wie ich vermutet hatte – denn die Brise war stärker geworden –, hob sich der Nebel, ehe die Stunde um war; es war kein Schiff zu sehen. Wir machten uns bereit, Lose zu ziehen.
    Nur mit tiefem Widerstreben verweile ich bei der gräulichen Szene, die nun folgen musste; spätere Ereignisse haben sie nicht im Entferntesten aus meiner Erinnerung zu löschen vermocht, und das herbe Gedächtnis an sie wird mir jeden zukünftigen Augenblick meines Lebens vergällen. Ich will daher so rasch wie möglich über diese Vorkommnisse hinwegeilen. Die einzige Methode, die wir anwenden konnten, war das Ziehen von Strohhalmen. Sie wurden durch Holzsplitter ersetzt, und ich sollte sie in der Hand halten. Ich zog mich an ein Ende des Rumpfes zurück, indes meine unseligen Gefährten am anderen Ende mir schweigend den Rücken zukehrten. Während ich die Lose ordnete, erduldete ich die allerbitterste Seelenangst. In den meisten Lagen des Lebens fühlt der Mensch ein Interesse an der Erhaltung seines Ichs; dieses Interesse wächst mit der Gefährdung des Lebens. Jetzt aber, da mich die schweigsame, ernste Natur meiner Aufgabe (so verschieden vom Kampf gegen tobenden Sturm oder Hungersqualen) an die geringen Möglichkeiten denken ließ, die mich vom grauenvollsten Tod schieden – einem Tod zu allergrauenvollstem Zweck –, da zerstob jedes Titelchen der Energie, die mich bis jetzt aufrecht hielt, wie Federn vorm Wind, und ich fiel der jämmerlichsten, verächtlichsten Furcht zur Beute. Ich konnte

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