Gesammelte Werke
ihn damals sah, hätte wohl eine Kleinigkeit dafür gegeben, einen Blick unter das weiße Taschentuch tun zu dürfen, das da so aufdringlich aus der Tasche seines Schwalbenschwanzes herausbaumelte. Was aber hauptsächlich geradezu Entrüstung hervorrief, war, dass der schurkische Windbeutel hier einen Wirbel und da einen Fandango drehte, aber nicht die leiseste Ahnung von dem zu haben schien, was man »Takt halten« nennt.
Die guten Leutchen der Stadt hatten jedoch kaum Zeit, ihre Augen wirklich aufzusperren, als – es fehlte gerade noch eine halbe Minute bis Mittag – der Kerl mitten unter sie sprang. Er machte ein »chassez« hier und ein »balancez« da, eine »pirouette« hier und einen »pas de zéphyr da und schwang sich dann mit einem Satz hinauf in den Glockenstuhl des Rathauses, wo der erstaunte Turmwächter ängstlich und entrüstet schmauchte. Doch der kleine Kerl packte ihn sofort an der Nase, zwickte sie und zerrte an ihr, stülpte dem Mann den großen Hut auf den Kopf und trieb ihn ihm bis auf den Mund hinunter. Dann hob er die riesige Fiedel und schlug ihn damit so lange und gründlich, dass die hohle Fiedel und der fette Turmwächter gemeinsam einen Lärm hervorbrachten, dass ihr darauf geschworen hättet, ein Regiment von Paukenschlägern bringe droben auf dem Glockenstuhl des Rathauses von Vondervotteimittis dem Teufel einen Zapfenstreich.
Es ist nicht festzustellen, zu welch verzweifeltem Racheakt dieser ruchlose Angriff die Bürger getrieben hätte, wenn nicht nur noch eine halbe Sekunde bis Mittag gefehlt hätte. Die Glocke musste gleich schlagen, und es war von höchster Wichtigkeit, dass jedermann nach seiner Uhr sah. Tatsache ist, dass der Bursche droben im Turm an der Uhr etwas Ungehöriges vornahm. Da sie aber jetzt zu schlagen begann, hatte niemand Zeit, auf seine Manipulationen zu achten, denn alle mussten die Glockenschläge mitzählen.
»Eins!«, sagte die Glocke.
»Eens!«, echote ein jeder kleine alte Herr im lederbezogenen Armstuhl in Vondervotteimittis. »Eens!«, sagte auch seine Uhr; »eens!« sagte die Uhr seiner Frau, und »eens!«, sagten die Uhren der Jungens und die kleinen goldschimmernden Spielzeuguhren an den Schwänzen der Katzen und Schweine.
»Zwei!«, fuhr die große Glocke fort, und »zwee!« repetierten alle Repetieruhren.
»Drei! Vier! Fünf! Sechs! Sieben! Acht! Neun! Zehn!«, sagte die Glocke.
»Dree! Vür! Fümpf! Zächs! Säwen! Ocht! Nain! Zien!«, antworteten die anderen.
»Elf!«, sagte die große.
»Jelf!«, stimmten die kleinen Dinger bei.
»Zwölf!«, sagte die Glocke.
»Zwielf!«, erwiderten sie ganz zufriedengestellt und ließen die Stimme sinken.
Und »zwielf is et!« sagten die kleinen alten Herren und steckten ihre Uhren ein. Aber die große Glocke war noch nicht mit ihnen fertig.
»Dreizehn!«, sagte sie.
»Der Teufel!«, schnappten die kleinen alten Herren, wurden bleich, nahmen die Pfeife aus dem Mund und das rechte Bein vom linken Knie.
»Der Teufel!«, grollten sie. »Dreezien! Dreezien!! – Mein Gott, et is dreezien Uhr!!«
Was soll ich versuchen, die furchtbare Szene, die nun folgte, zu beschreiben? Ganz Vondervotteimittis verfiel sogleich in Jammer und Aufruhr.
»Wat is mit mein Bauch?«, heulten alle die Buben. »Ech hob seit ’ner Stund Hunger!«
»Wat is mit mein Kraut?«, schrien alle die Frauen, »et is seit ‘ner Stund all gar!«
»Wat is mit mein Piep?«, fluchten alle die kleinen alten Herren, »Doner ond Blitzen! Sie is seit ‘ner Stund all aus!« – Und in Wut stopften sie sie neu, sanken in ihren Armstuhl zurück und pafften so wild und hastig, dass das ganze Tal im Nu mit undurchdringlichem Rauch erfüllt war.
Inzwischen hatten die Kohlköpfe alle ganz rote Köpfe bekommen, und es schien, als sei alles, was die Gestalt einer Uhr hatte, vom leibhaftigen Teufel besessen. Die in die Möbelstücke eingeschnitzten Uhren drehten sich wie behext, während jene auf den Kaminsimsen sich vor Wut kaum lassen konnten und so unausgesetzt dreizehn schlugen und mit ihren Pendeln so toll herumwirbelten, dass es grauenhaft mit anzusehen war. Doch schlimmer als das: Weder Katze noch Schwein wollten sich länger die Vorführung der an ihren Schwänzen angebundenen Uhren gefallen lassen und wehrten sich in toller Flucht mit Kratzen, Stoßen und Quieken und Kreischen und Miauen und Grunzen und den Leuten-ins-Gesicht-springen und ihnen Unter-die-Röcke-laufen und überhaupt mit dem grässlichsten Lärm und der schauerlichsten
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