Gesammelte Werke
dann, wenn das Auge es fertigbrachte, nicht tief unten im umgekehrten Himmel das verdoppelte Blühen der Hügel wahrzunehmen. Auf ihnen gab es weder Bäume noch Sträucher irgendwelcher Größe. Der Eindruck für den Beschauer war Fülle, Wärme, Farbe, Ruhe, Gleichmäßigkeit, Sanftheit, Zartheit, Vornehmheit, Üppigkeit und ein so wundervolles Übermaß von Pflege, dass man träumen mochte, das Geschlecht der Feen, der fleißigen, geschmackvollen, prunkliebenden und stolzen Feen sei auferstanden; wenn aber der Blick von der scharfen Wassergrenze des myriadengetönten Hangs zu seiner in niedrig ziehenden Wolken verschwimmenden Höhe schweifte, so war es wirklich schwer, nicht an einen stürzenden Wasserfall von Rubinen, Saphiren, Opalen und goldschimmernden Onyxen zu denken, der schweigend aus dem Himmel niederstürzte.
Der Besucher, der plötzlich aus dem Dämmer der Schlucht in diese Bucht herausgleitet, ist entzückt und überrascht, den vollen Ball der untergehenden Sonne zu erblicken, die er längst tief unter dem Horizont glaubte, die ihm nun aber gegenübersteht und den einzigen Abschluss eines andernfalls unbegrenzten Ausblicks durch einen anderen schluchtartigen Einschnitt in den Hügeln bildet.
Hier aber verlässt der Reisende das Schiff, das ihn so weit getragen hat, und besteigt ein leichtes Boot aus Elfenbein, das innen wie außen mit Arabesken in Scharlachrot geziert ist. Bug und Hinterteil des Bootes heben sich in scharfer Spitze hoch aus dem Wasser, so dass die Form des Ganzen ein unregelmäßiger Halbmond ist. Mit der stolzen Anmut des Schwans wiegt es sich auf dem Spiegel der Bucht. Auf seinem hermelinbelegten Boden ruht ein einziges leichtes Ruder aus Atlasholz; doch kein Ruderer oder Begleiter ist zu sehen. Der Gast wird gebeten, sich vertrauensvoll darauf zu verlassen, dass das Schicksal ihn behüten wird. Der größere Kahn verschwindet, und er bleibt allein in dem Boot zurück, das anscheinend unbeweglich mitten im See liegt. Während er überlegt, welchen Kurs er nehmen soll, spürt er jedoch, dass das Feenboot sich sacht bewegt. Es schwingt sich langsam herum, bis sein Bug zur Sonne weist.
Es bewegt sich mit sanfter, aber zunehmender Schnelligkeit voran, und das leichte Wellenkräuseln umtanzt die elfenbeinernen Bootswände wie mit himmlischen Melodien – und gibt jedenfalls die einzige Erklärung für die schmeichelnde, doch schwermütige Musik, nach deren unsichtbarem Ursprung der bestürzte Reisende vergeblich um sich blickt.
Das Boot rückt stetig voran, und das Felsentor der Durchsicht rückt näher, so dass man deutlicher in seine Tiefen spähen kann. Rechts erhebt sich eine Kette wild und üppig bewaldeter Höhen. Immer aber kann man sehen, dass die köstliche Sauberkeit des Ufers dort, wo es ins Wasser taucht, gewahrt bleibt. Nicht ein Zeichen des an Flussufern sonst üblichen Verfalls ist wahrzunehmen. Nach links ist die Szene sanfter, und das Künstliche ist stärker betont. Hier schwingt sich das Ufer in sehr sanfter Steigung vom Fluss empor und bildet eine breite Rasenfläche, die nur mit Samt zu vergleichen ist und ein so strahlendes Grün aufweist, dass es mit dem reinsten Smaragd wetteifert. Dieses »Plateau« hat eine wechselnde Breite von zehn zu dreihundert Metern und reicht vom Ufer bis zu einer Mauer, die in unzähligen Kurven dahinzieht, im Allgemeinen aber dem Flusslauf folgt, bis sie sich nach Westen in der Ferne verliert. Diese Mauer besteht aus einem zusammenhängenden Fels und ist dadurch entstanden, dass man den einst zerklüfteten Hang des südlichen Flussufers senkrecht abschnitt; doch nicht die kleinste Spur dieser Arbeit ist mehr zu sehen. Der gemischte Stein ist altersgrau und ist verschwenderisch mit Efeu, korallenrotem Geisblatt, der wilden Rose und Klematis behangen und umwuchert. Die Gleichmäßigkeit der oberen und unteren Abschlusslinie der Mauer wird durch Bäume von gigantischer Größe erreicht, die vereinzelt oder in Gruppen auf dem »Plateau« oder im Bereich hinter der Mauer, aber immer dicht neben ihr stehen, so dass zuweilen die Äste (besonders jene der schwarzen Walnuss) herübergreifen und ihre hängenden Spitzen ins Wasser tauchen. Weiter hinten ist das eingeschlossene Besitztum von undurchdringlichem Laubwerk verhüllt.
Diese Dinge bemerkt man, während das Boot der Stelle immer näher kommt, die ich das Tor der Durchsicht genannt habe. Je mehr man sich ihm nähert, desto mehr verschwindet das Zauberhafte daran; nach links öffnet sich
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