Gesammelte Werke
ein neuer Abfluss aus der Bucht, und in dieselbe Richtung scheint auch die Mauer sich zu ziehen, die immer noch den Flusslauf begleitet. Weit kann das Auge nicht in diese neue Flucht hinunterspähen, denn das von der Mauer begleitete Wasser biegt wiederum nach links ab, bis beide im Laubdach verschwinden.
Das Boot aber gleitet wie durch Zauberkraft in das gewundene Flussbett, und hier zeigt das der Mauer gegenüberliegende Ufer Ähnlichkeit mit dem vorhin beschriebenen Ufer. Hohe Hügel, die sich gelegentlich zu Bergen erheben und eine üppige, wilde Vegetation tragen, schließen die Szene ein.
Das Boot gleitet sanft, aber mit zunehmender Geschwindigkeit dahin, bis nach vielen kurzen Drehungen der Reisende seinen Weg von einem gigantischen Tor oder vielmehr einer vergoldeten, überreich verzierten Tür gehemmt sieht, die den vollen Strahlen der jetzt schnell sinkenden Sonne ein so glänzender Spiegel ist, dass der ganze umliegende Wald in Flammen zu stehen scheint. Dieses Tor ist in die hohe Mauer eingelassen, die den Fluss hier scheinbar rechtwinklig kreuzt. Nach kurzer Zeit allerdings sieht man, dass der Hauptstrom des Wassers noch immer in sanftem und gedehntem Bogen nach links gleitet, wie zuvor der Mauer folgend, während eine nicht unbeträchtliche Strömung sich von dem Hauptarm abzweigt und leise kräuselnd unter dem Tor den Blicken entschwindet. Das Boot fällt in den kleinen Kanal und nähert sich dem Tor. Seine weitausladenden Flügel dehnen sich langsam und sanft erklingend. Das Boot gleitet hindurch und fliegt eilig einem ungeheuren Amphitheater zu, das vollständig von purpurnen Bergen umschlossen ist, deren Füße ein schimmernder Fluss umspült. Und nun zeigt sich den Blicken urplötzlich dieses ganze Paradies Arnheim. Eine bezaubernde Melodie rauscht auf; ein seltsam süßes Duften umschmeichelt die Sinne – und traumgleich erstehen vor dem Auge hohe, schlanke Zypressen, laubenartiges Gesträuch, Scharen goldener und scharlachroter Vögel, lilienumsäumte Teiche, Wiesen voller Veilchen, Tulpen, Mohn, Hyazinthen und Tuberosen, lange, gewundene, silberne Wasserläufe und mitten aus alledem phantastisch emporstrebend ein halb gotisches, halb maurisches Bauwerk, das wie durch Wunderkraft frei in der Luft zu schweben scheint, im roten Sonnenglanz mit hundert Erkern, Minaretten und Zinnen erglitzert und vermuten lässt, es sei ein Geisterwerk der Sylphen, der Feen, der Genien und Gnomen.
Hopp-Frosch
Ich habe niemals jemand gekannt, der so sehr zu Scherz und Spaß aufgelegt war wie der König; es war geradezu sein Lebenselement. Eine lustige Geschichte gut erzählen – das war der sicherste Weg, sich bei ihm in Gunst zu setzen. So kam es, dass seine sieben Minister alle dafür bekannt waren, vollendete Spaßmacher zu sein. Sie glichen auch sonst dem König: Sie waren nicht nur unvergleichliche Witzbolde, sondern auch große, korpulente, fette Männer. Ob die Leute vom Scherzen fett werden oder ob die Veranlagung zu Spaß und Scherz bei fetten Leuten besonders stark entwickelt ist, habe ich nie ganz genau feststellen können; Tatsache aber ist, dass ein magerer Spaßmacher ein rara avis in terris ist.
Aus den Feinheiten oder, wie er sagte, dem »Geist« des Witzes machte der König sich wenig. Er bewunderte hauptsächlich die Breite eines Scherzes, und um ihretwillen ließ er sich auch die Länge gefallen. Überfeinheiten langweilten ihn. Er würde Rabelais’ »Gargantua« dem »Zadig« Voltaires vorgezogen haben, und alles in allem gefiel es ihm besser, einen Streich auszuführen, als einen erzählt zu bekommen.
Zu der Zeit, in der meine Geschichte spielt, waren berufsmäßige Spaßmacher bei Hof noch nicht ganz aus der Mode gekommen. Mehrere »Großmächte« des Kontinents hatten noch ihre »Narren« in Narrenkleid und Schellenkappe, die zum Dank für die Brosamen, die ihnen an des Königs Tisch zufielen, stets zu Spott und Witz bereit sein mussten.
Unser König hatte selbstverständlich auch seinen Hofnarren. Tatsache ist, dass er ein wenig Narrheit um sich brauchte – sei es auch nur als Gegengewicht gegen die ungeheure Weisheit der sieben weisen Männer, seiner Minister – von ihm selbst gar nicht zu reden.
Sein Narr oder Spaßmacher von Beruf war jedoch nicht nur ein Narr. Sein Wert wurde in den Augen des Königs dadurch verdreifacht, dass er außerdem ein Zwerg und ein Krüppel war. In jenen alten Tagen waren Zwerge am Hof nicht seltener als Narren, und viele Herrscher hätten es schwer
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