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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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auf dem Kriegsfuß – dem Sinn, den wir zu befriedigen suchen, wenn wir uns auf das Land zurückziehen. Wenn wir vom Gipfel eines Berges um uns blicken, so fühlen wir uns unwillkürlich verloren in der Welt. Die tief melancholischen Seelen meiden einen weiten Blick wie die Pest.«
    Nicht vor Ende des vierten Jahres unserer Suche fanden wir eine Gegend, mit der Ellison sich einverstanden erklärte. Es ist natürlich überflüssig, zu sagen, wo diese Gegend lag. Der kürzlich erfolgte Tod meines Freundes, der seine Besitzung für gewisse Kreise von Besuchern erschloss, hat Arnheim zu einer heimlichen und gedämpften, wenn nicht traurigen Berühmtheit verholfen, ähnlich – allerdings in unendlich höherem Grade – wie es mit dem so lang verehrten Fonthill gegangen ist.
    Der übliche Weg nach Arnheim war der Fluss. Der Besucher verließ die Stadt am frühen Morgen. Im Laufe des Vormittags glitt er zwischen Ufern voll stiller, ländlicher Schönheit dahin, auf denen zahllose Schafe weideten, deren weißes Fell das strahlende Grün der vorüberziehenden Wiesen sprenkelte. Nach und nach wirkte die Landschaft weniger bebaut als lediglich mit Sorgfalt gepflegt. Das wandelte sich allmählich in Verlassenheit – diese wieder in völlige Abgeschiedenheit. Als der Abend kam, wurde das Flussbett enger, die Ufer erhoben sich steiler und waren mit üppigem, dunklem Laubwuchs bedeckt. Das Wasser wurde durchsichtig. Der Fluss machte tausend Windungen, so dass man seine schimmernde Fläche nur immer eine kurze Strecke weit überschauen konnte. Jeden Augenblick war es, als befinde sich das Schiff in einem Zauberkreis aus undurchdringlichen Laubwänden, mit einer Decke von tiefblauer Seide und –
keinem
Boden, da der Kiel mit staunenswerter Geschicklichkeit auf dem eines anderen gespenstischen Bootes zu balancieren schien, das, zufällig kieloben treibend, die beständige Begleitung und gewissermaßen der Halt des wirklichen Bootes zu sein schien. Das Flussbett wurde jetzt zu einer Schlucht – diese Bezeichnung ist allerdings etwas unangebracht, ich gebrauche sie nur, weil die Sprache kein Wort hat, das diesen auffälligsten Zug der Landschaft kennzeichnet. Der Charakter einer Schlucht wurde nur durch die Höhe und Gleichmäßigkeit beider Ufer gegeben; in allem anderen war keine Ähnlichkeit zu spüren. Die Wände der Schlucht (durch die das Wasser weiter still dahinfloss) erreichten eine Höhe von hundert und gelegentlich hundertundfünfzig Fuß und neigten sich einander so weit zu, dass sie das Tageslicht wesentlich abdämpften, während das lange, flaumige Moos, das in dichten Büscheln vom verflochtenen Strauchwerk oben herniederhing, der ganzen Kluft eine trauernde Düsterkeit verlieh. Die Windungen wurden häufiger und verworrener und schienen oft wieder nach rückwärts zu führen, so dass der Reisende längst nicht mehr die Richtung kannte. Überdies fühlte er mit Entzücken die Seltsamkeit seiner Umgebung. Freilich, Natur war es noch immer, aber sie war beeinflusst worden. Da war eine zauberhafte Symmetrie, eine packende Gleichmäßigkeit, eine märchenhafte Sauberkeit hier in ihren Werken. Nicht ein totes Zweiglein – nicht ein welkes Blatt – nicht ein verirrter Kiesel – nicht ein Fleckchen nackter Erde war zu sehen. Das kristallklare Wasser wellte an dem sauberen Granit oder dem fleckenlosen Moos in einer so ebenmäßigen Grenzlinie empor, dass es das Auge entzückte und bestürzte.
    Hatte man die Irrgänge dieses Flussbettes einige Stunden lang durchzogen, während die Dämmerung immer mehr zunahm, so brachte eine scharfe und plötzliche Wendung das Boot wie vom Himmel gefallen in ein rundes Becken von ansehnlichen Ausmaßen, mit denen der Schlucht verglichen. Es hatte etwa zweihundert Meter Durchmesser und war bis auf eine einzige Stelle, die dem Boot bei seinem Eintritt genau gegenüberlag, von Hügeln eingefasst, deren Höhe den Wänden der Schlucht entsprach, die aber ganz anders in der Anlage waren. Sie glitten in einem Winkel von etwa vierzig Grad zum Wasser herunter, und diese Hänge waren von unten bis oben – ohne den kleinsten Zwischenraum – mit den prächtigsten Blüten geschmückt; kaum ein grünes Blättchen war in dem Meer duftender Farben und flutender Blütensterne zu sehen. Das Becken war von großer Tiefe; das Wasser war aber so durchsichtig, dass der Boden, der aus einer dichten Menge kleiner, runder Alabasterkiesel zu bestehen schien, gelegentlich deutlich sichtbar wurde, das heißt immer

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