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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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hätte. Weit entfernt davon, lag ich noch immer fast waagerecht, in gleicher Linie mit der Ebene des Horizonts; denn meine eigene veränderte Lage hatte den Boden der Gondel beträchtlich von mir fortgestemmt, was naturgemäß eine außerordentliche Gefahr bildete. Man muss jedoch bedenken, dass – wäre ich beim Herausstürzen so gefallen, dass mein Gesicht nach innen geblickt hätte statt nach außen, wie es der Fall war, oder hätte zweitens das Seil, an dem ich hing, über dem oberen Rand gelegen, statt aus einer Lücke am Boden herauszukommen – ich meine, man kann leicht begreifen, dass es mir in jedem dieser angenommenen Fälle nicht einmal möglich gewesen wäre, so viel zu erreichen, als mir bis jetzt gelungen war, und die hier gegebenen Enthüllungen würden für die Nachwelt verloren gewesen sein. Ich hatte daher allen Grund, dankbar zu sein, war aber tatsächlich zu benommen, um überhaupt etwas zu empfinden. Vielleicht eine Viertelstunde verbrachte ich in der neuen, ungewöhnlichen Lage, und ohne die geringste weitere Anstrengung zu machen, gab ich mich einer geradezu idiotischen Zufriedenheit hin. Dieses Gefühl wich dann aber dem einer grauenhaften Bestürzung und dem Bewusstsein meiner völligen Hilflosigkeit. Ja, das Blut, das sich bislang in den Gefäßen von Kopf und Hals gestaut und meine Lebensgeister in Benommenheit versenkt hatte, begann nun wieder in seine natürlichen Kanäle zurückzufluten, und die Deutlichkeit, mit der ich mir nun meiner Gefahr bewusst wurde, führte nur dazu, mir die Selbstbeherrschung und den jetzt dringend erforderlichen Mut gänzlich zu rauben. Diese Schwäche dauerte aber zu meinem Glück nicht lange. Zur rechten Zeit kam mir die Verzweiflung zu Hilfe, und mit wildem Schreien und Zappeln brachte ich mich ruckweise in die Höhe, bis ich mit verzweifeltem Griff den lang erstrebten Korbrand erfassen und mich hinüberwinden konnte, um kopfüber und an allen Gliedern bebend in die Gondel zu stürzen.
    Erst geraume Zeit später erholte ich mich so weit, um dem Ballon die gebotene Sorgfalt zuwenden zu können. Ich prüfte ihn dann aber aufmerksam und fand ihn zu meiner großen Beruhigung unbeschädigt. Meine Instrumente waren alle in bester Ordnung, und glücklicherweise hatte ich weder Ballast noch Proviant verloren. Es war ja auch alles so sorgsam von mir befestigt gewesen, dass Verluste kaum möglich werden konnten. Ich sah nach der Uhr und stellte fest, dass es sechs Uhr war. Ich stieg noch immer mit großer Schnelligkeit, und das Barometer verzeichnete nun eine Höhe von drei und dreiviertel Meilen. Genau unter mir auf dem Ozean lag ein kleiner, dunkler Gegenstand von ziemlich länglicher Form und von der Größe eines Dominosteines und einem solchen überhaupt sehr ähnlich. Ich richtete das Teleskop darauf und erkannte nun deutlich, dass es ein britisches, sorgsam aufgeholtes Kriegsschiff war, das in westsüdwestlicher Richtung mächtig die Wogen stampfte. Außer diesem Schiff sah ich nichts als Meer und Himmel und die Sonne, die schon lange aufgegangen war.
    Es ist nun hohe Zeit, dass ich Euren Exzellenzen den Zweck meiner Reise auseinandersetze. Eure Exzellenzen werden sich erinnern, dass meine verzweifelte Lage in Rotterdam mich schließlich zu dem Entschluss getrieben hatte, Selbstmord zu begehen. Es war jedoch nicht das Leben selbst, das mich anekelte, sondern die zufällige Misere, unter der ich persönlich so sehr leiden musste. In dieser Seelenstimmung, leben wollend und doch vom Leben zermürbt, eröffnete die Abhandlung aus der Bücherbude, unterstützt von der so gelegen kommenden Entdeckung meines Vetters in Nantes, meiner Einbildungskraft ein Ziel. Ich fasste also einen endgültigen Entschluss. Ich beschloss, zu verschwinden, doch am Leben zu bleiben – die Welt zu verlassen, aber nicht das Dasein – kurz, um nicht in Rätseln zu sprechen, ich beschloss, komme was wolle, wenn möglich einen Weg zum Mond zu erzwingen. Damit man mich nun nicht für verrückter hält, als ich tatsächlich bin, will ich, so gut ich kann, die Gedanken darlegen, die mich zu der Überzeugung führten, dass ein derartiges Unternehmen, wenn es zweifellos auch schwierig und gefahrvoll war, für einen kühnen Geist dennoch nicht außer dem Bereich des Möglichen lag.
    Zunächst war die genaue Entfernung des Mondes von der Erde in Betracht zu ziehen. Nun beträgt der mittlere oder durchschnittliche Abstand zwischen den Mittelpunkten der beiden Planeten 59,9643 äquatoriale

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