Gesang der Untoten
einen Augenblick stehen und drehte sich zu mir um. »Lassen Sie sich
den Kaffee schmecken«, sagte er. »Es war mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Sophie.
Ich bin sehr froh, daß Sie bald nur noch für uns singen.« Wieder ein
schüchternes Lächeln. »Oder Sie unterschreiben überhaupt keinen Vertrag mehr.«
Dann ging er hinaus und machte leise die Tür hinter sich zu.
Eine halbe Stunde später traf
Johnny Rio ein, gerade als ich es geschafft hatte, mit dem Zittern aufzuhören.
»Entführt haben sie dich?«
fragte er anklagend, als wäre alles nur meine Schuld gewesen.
»Und mißbraucht, erniedrigt und
halb zu Tode erschreckt!«
»Bist du ganz sicher, daß du
dir das alles nicht nur einbildest?«
Wenn er nicht außer Reichweite
gewesen wäre, hätte ich ihm eine heruntergehauen. »Ganz sicher bin ich nur, daß
ich ab sofort nicht mehr mitspiele, auch wenn es mich die Partnerschaft in
deiner Agentur kosten sollte. Mit Sophies Problemen will ich nichts zu tun
haben, selbst wenn man mir alle Tantiemen aus ihren goldenen Schallplatten
verspricht!«
»Langsam, Mavis«, sagte Johnny.
»Ich bin jetzt bei dir und werde die ganze Zeit bei dir bleiben, damit dir
nichts geschehen kann.«
»Die spinnen total«, sagte ich.
»Wie kann denn einer sagen, ob ich Sophie Ventura bin, indem er meine — ach,
vergiß es!... Aber dieser idiotische Harry unten erzählt jedem, daß ich Sophie
Ventura bin. Der stellt mich als Ziel hin für sämtliche Verrückten in Los
Angeles, und keinen kümmert es, wenn ich entführt und geschändet und mit
Messern beworfen werde!«
»Du bist etwas nervös, Liebes«,
sagte Johnny beruhigend. »Warum vergißt du nicht erst einmal alles?«
»Vergessen?« brüllte ich. »Wenn
ich jetzt die Augen zumache, sehe ich nur Messer auf mich zufliegen!«
»Bilde dir doch nichts ein.«
»Einbilden?« Ich hätte ihn
verprügeln können. »Denkst du, ich hätte mir diesen Rogers aus den Fingern
gesogen?«
»Rogers?«
»Lou Rogers. Der hat einfach
ein Messer aus der Tasche gezogen und Muster in die Tischplatte geschnitzt.
Wenn Sophie Ventura ihren Vertrag bei Delaware nicht kündigt, hat er gesagt,
wird er an meinem Gesicht herumschnitzen oder weiter unterhalb«, sagte ich
bitter. »Und dem Grindel soll ich sagen, er soll abhauen.«
»Lou Rogers?« Zum erstenmal
schien Johnny sich für meine Geschichte zu interessieren. »Von dem habe ich
schon gehört. Er arbeitet für eine Gangsterfirma. Sehr interessant. Sie müssen
es sich anders überlegt haben. Wenn sie Sophie kriegen, machen sie ein Vermögen
und fügen Delaware mehr Schaden zu, als wenn sie Sophie umbringen würden.«
»Schöne Gesellschaft! Jetzt
geht es mir schon viel besser. Und wer oder was ist der Grindel?«
»Keine Ahnung.« Johnny zuckte
sorglos die Achseln. »Aber das werden wir bald herausfinden.«
»Es reicht mir aber!« sagte
ich. »Ich höre auf.«
»Weißt du, was dir fehlt,
Mavis?« sagte er rasch. »Tapetenwechsel. Wir gehen irgendwohin essen. Ich
wette, du bist total ausgehungert.«
»Ausgehungert? Wenn du dir
vorstellst, ich könnte auch nur einen Gedanken an Essen verschwenden, dann hast
du aber—«, ich machte eine Pause, weil mein Magen knurrte, »-absolut recht.«
Wir gingen hinunter in die
Tiefgarage und holten Johnnys Wagen, fuhren dann in ein ungarisches Restaurant.
Man merkte, daß es ein ungarisches Restaurant war, weil zwei falsche Zigeuner
auf Geigen spielten, die klangen, als müßten sie geölt werden. Gewöhnlich
trinke ich nicht viel, hatte aber das Gefühl, daß meine Nervenenden nach diesem
Tag mindestens soviel Öl brauchten wie die Geigen. So nahm ich vor dem Essen
zwei mächtige Martinis. Johnny bestellte eine Flasche Wein, dann noch eine.
Nach dem Essen trank ich einige Likörchen zum Kaffee, um den sauren
Weingeschmack loszuwerden, und als wir endlich wieder in unser schäbiges Hotel
zurückkamen, fühlte ich mich ganz außergewöhnlich erschöpft.
»Ich habe eine Flasche Whisky
dabei«, sagte Johnny, als wir in die Hotelhalle kamen. »Wenn du noch einen
Schlummertrunk haben willst, besorge ich bei Harry Eiswürfel.«
»Nein, danke«, sagte ich. »Ich
kann kaum noch gehen vor Müdigkeit.«
Johnny fand das komisch. Harry
saß immer noch hinter seiner Theke, aber es mußte etwas mit seinem Sessel nicht
in Ordnung sein, denn er hüpfte unablässig auf und ab. Dann legte Johnny seinen
Arm um meine Taille — um mir die Treppe hochzuhelfen, wie er sagte — , wogegen
ich mich gerne gewehrt hätte, aber
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