Gesang des Drachen
Gewahrsam, er hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Die viel schlimmere Bedrohung lauerte nun in der Dunkelheit, die den Schattenlord verbarg.
Laura wunderte sich, dass er sie seit einiger Zeit in Ruhe ließ; aber das lag wahrscheinlich daran, dass er anderweitig zu sehr beschäftigt war. Sie glaubte nicht daran, dass sie ihn in Cuan Bé besiegen konnten – viel wichtiger war der Sieg über Alberich, der ebenfalls dorthin unterwegs war. Und vielleicht konnten sie den Vulkan sogar vom Schattenlord befreien.
Aber was dann?
Der letzte Kampf findet in Morgenröte statt, dachte Laura. Ich muss endlich den Verschollenen Palast finden, denn die Königin verfügt über große Macht. Vielleicht kann sie dem Schattenlord die Stirn bieten und ihn in seine Schranken weisen. Vielleicht weiß sie einen Weg, wie man ihn überwinden oder wenigstens bannen kann.
Es war der einzige Trost, die einzige Hoffnung, die sie noch hatte.
1.
Die Unsichtbaren
Vor fünf Wochen.
Die Staubwolke hing über dem Land und hüllte das Heer ein, das unter ihr marschierte. Hufe rissen den trockenen Boden auf, Stiefel zermahlten kleine Steine, Rüstungen klirrten. Die Luft war erfüllt vom Schnaufen der Pferde und dem Atmen der Krieger.
Alberich ritt an ihrer Spitze. Sein Kriegsross war gepanzert, die Rüstung, die er trug, aus kunstvoll bearbeitetem Metall, das durch einen Zauber kaum schwerer als Leder war. Ab und zu drehte er sich im Sattel um und betrachtete sein Heer: die Kavallerie aus loyalen Echsen, die Infanterie aus Echsen und Menschen, dazu die Bogenschützen, die sich hauptsächlich aus zum Dienst gepressten Elfen zusammensetzten. Es waren Tausende.
»Glaubst du, dass uns jemand widerstehen kann?«, fragte der Drachenelf. Er sah Yevgenji an, der neben ihm auf einem wendigen, kleineren Pferd ritt.
»Das hängt davon ab, wer dieser Jemand ist«, sagte der Elf, ohne seinen Blick zu erwidern. Alberich wusste, dass Yevgenji ihn hasste, aber gegen den Fluch, der auf ihm lastete, konnte er sich nicht wehren. Er musste an Alberichs Seite kämpfen, auch wenn er ihm lieber sein Schwert in die Brust gestoßen hätte.
»Eine gute Antwort. Der Schattenlord, hoffe ich zumindest, und natürlich dein Bruder ...« Alberich hielt inne. »Ist Spyridon eigentlich dein Bruder, dein Geliebter, dein platonisch bester Freund oder vielleicht alles zusammen?«
Als Yevgenji mit versteinertem Gesichtsausdruck schwieg, fuhr er fort: »Du kannst es mir ruhig sagen, ich werde bestimmt nicht über dich urteilen. Wenn du wüsstest, was ich schon alles getan habe und noch zu tun gedenke ...«
Er ließ den Satz im Nichts enden und lächelte voll Nostalgie und Sehnsucht. »Die Asen wussten, wie man eine Party schmeißt. Also, was seid ihr?«
Nun sah Yevgenji ihn doch an. »Ich muss dir nicht antworten, ich muss nur für dich kämpfen.«
Erstaunlich, dachte Alberich, wie sehr es mich immer noch ärgert, wenn jemand nicht tut, was ich sage. Er lächelte weiterhin, aber seine nächsten Worte klangen kalt. »Und ich freue mich sehr auf diesen Kampf. Ich werde sicherstellen, dass sich niemand einmischt, wenn du und Spyridon gegeneinander antretet. Blut soll fließen, viel Blut.«
Er schnalzte mit der Zunge und ließ Yevgenji hinter sich. Die Staubwolke, die er mit Magie erschaffen hatte, um sein Heer vor den Augen anderer zu verbergen, dehnte sich automatisch so weit aus, dass alle von ihr verdeckt blieben. Trotzdem achtete Alberich darauf, sich nicht zu weit vom Rest des Heers zu entfernen. Er war kein Draufgänger, der sich unnötig in Gefahr begab, er war ein König und ein Kriegsherr.
Und er wollte den Sieg.
Bei Odin, dachte er, als er über die weite Ebene blickte. Ich will ihn mehr als alles andere.
Hinter ihm fraß sich der todbringende Moloch aus Eisen und Fleisch weiter seinem Ziel entgegen. Er hinterließ Zerstörung, Asche und Staub. Niemand konnte sich ihm widersetzen.
Niemand.
Peddyr hockte in einem Baum am Rande der Menschensiedlung. Seine Raubvogelkrallen gruben sich tief in das Holz; mit scharfem Blick beobachtete er, was sich auf der Lichtung abspielte.
Der Angriff des Schattenlords, dieses gewaltige magische Gewitter, hatte schwere Schäden hinterlassen. Einige Hütten waren nach Blitzeinschlägen abgebrannt, überall lagen Äste, Zweige und ganze Bäume, die der Sturm aus dem Boden gerissen hatte. Auf Peddyr wirkten ihre Wurzeln wie verkrümmte Klauen, die vergeblich in der Luft nach Halt suchten.
Menschen und Elfen räumten gemeinsam
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