Geschenke für den Kommissar - Kriminalroman
lauschte angestrengt. Nichts klapperte. Was immer sich darin befand – es war gut eingepackt. Mehr als ein oder zwei Kilo wog das Paket bestimmt nicht.
Er besah sich den Poststempel. Abgestempelt war es in Frankfurt. Nun, einen weiten Weg hatte es also nicht zurücklegen müssen. Gehring seufzte, lehnte sich zurück und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Es dauerte nicht lange, und sie kreisten wie die Geier über einem Opfer, das noch nicht ganz verendet ist. Seine kriminalistischen Aasfresser hätten gerne zugestoßen, doch die Zeit schien noch nicht reif. So verging mehr als eine Viertelstunde, die er, völlig in sich versunken, vor dem ungeöffneten Paket saß.
„Warum machst du es nicht einfach auf?“
Gehrings Gedankenblase platzte und seine Überlegungen zerstreuten sich in alle Winde. Er fühlte sich ertappt. Seine Frau hatte ihm ein weiteres Glas Sekt mitgebracht und es neben das ominöse Paket gestellt. Daraufhin nahm sie ebenfalls Platz, schlug die Beine übereinander und blickte ihn auffordernd an.
„Du hast ja recht.“ Mit einem resignierten Lächeln griff er zu dem Messerchen und schlitzte die Oberseite längs des Klebebandes auf. Mit beiden Händen griff er in den Spalt und bog die Deckel nach oben.
In einem Bett aus Styroporchips lag ein weiteres Päckchen. Es war mit hellblauem Geschenkpapier eingewickelt, das mit Marienkäfern in verschiedener Größe übersät war. Ein blasslila Band hielt alles zusammen. Zögerlich griff Gehring in das Paket und hob den eingewickelten Gegenstand heraus.
„Jetzt mach schon, pack es aus.“
Ihr Mann hatte sie doch tatsächlich angesteckt. Martina Gehring war neugierig geworden.
Als der Ex-Polizist das Geschenkpapier entfernt hatte, konnte er seine Ratlosigkeit nicht verbergen. Er schaute enttäuscht auf ein Paar alter, ziemlich schmutziger Laufschuhe. Im Inneren der abgetretenen Fußbekleidung steckte eine Schachtel billiger Buntstifte, wie sie Kinder zum Malen benutzen und ein ausgedienter Tuschekasten.
So sprachlos hatte Martina Gehring ihren Mann lange nicht erlebt. Beunruhigt fuhr sie sich duch die Haare, dann ergriff sie das Paket und schaute hinein. Auf dem Boden lag noch ein kleiner Umschlag. Sie nahm ihn heraus und griff sich das Messerchen.
„Darf ich?“ Sie schaute fragend zu ihrem Mann.
„Klar.“
Sie schlitzte den Umschlag an der Oberseite auf, zog ein Blatt hervor, faltete es auseinander und hielt es so, dass ihr Mann mitlesen konnte.
Es dauerte ungefähr zehn Sekunden, dann zeigte der Ex-Polizist eine Reaktion.
„Was, verdammt noch mal, bedeutet das?“, platzte es aus ihm heraus. Er nahm seiner Frau das Blatt aus der Hand.
Die Zeit läuft ab
.
Handgeschrieben, augenscheinlich mit einer Buchstaben-Schablone, wie sie früher von Architekten verwendet wurde.
Als sie die Zeile gelesen hatte, blickte sie ihren Mann sorgenvoll an.
„Ich gebe es zu. Jetzt ist es wirklich ein Rätsel. Das wolltest du doch, oder?“ Sie nahm ihm das Blatt aus der Hand und las erneut.
„Wie kommst du bloß darauf?“, gab Gehring zögernd zurück. Auch er war beunruhigt. Doch seine Augen leuchteten.
„Georg, vergiss nicht – du bist kein Polizist mehr“, warnte ihn seine Frau. Kopfschüttelnd lief sie ins Haus zurück und ließ ihn mit dem Paket allein.
Gehring dachte indessen fieberhaft nach.
Welche
Zeit läuft ab? Oder vielleicht auch
wessen
Zeit? Da wollte ihm jemand etwas mitteilen. Doch dieser Jemand hatte nichts von seinem Urlaub gewusst. Und er schien auch nicht zu wissen, dass er nicht mehr bei der Polizei war. Anders war seine ehemalige Berufsbezeichnung auf dem Adressaufkleber nicht zu erklären.
Langsam wuchs Gehrings Sorge. Er konnte nicht sagen, wo dieses ungute Gefühl herkam. Er beschloss, auf seine innere Stimme zu hören und es ernst zu nehmen.
Kurz darauf stand er im Wohnzimmer und wählte die Nummer seines ehemaligen Kollegen Harald Reichard.
„Reichard“, klang es sehr knapp.
„Hallo, Herr Reichard, hier ist Georg Gehring. Na?“, versuchte er, neutral zu wirken. „Wollte bloß mal nachhören. Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Wie geht’s denn so?“
Die gespielte Beiläufigkeit von Gehrings Anteilnahme konnte Reichard nicht recht überzeugen.
„Chef? Na, das ist eine Überraschung. Geht’s Ihnen gut? Sie hören sich beunruhigt an.“
Irgendwie hatte Gehring das Gefühl, dass Harald Reichard überhaupt nicht erstaunt war, von seinem ehemaligen Chef zu hören. Doch diese Wahrnehmung war eher unbestimmter Natur
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