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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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zweifellos der ehemalige Deputierte der zweiten Duma, Zeretelli, der sogleich nach seiner Ankunft aus der Verbannung nicht nur das Haupt der Menschewiki, sondern der gesamten damaligen Sowjetmehrheit wurde. Weder Theoretiker noch Journalist, aber hervorragender Redner, war und blieb Zeretelli der Radikale von südfranzösischem Typus. Unter den Bedingungen parlamentarischer Routine würde er sich wie ein Fisch im Wasser gefühlt haben. Doch er war in einer revolutionären Epoche geboren und hatte sich in seiner Jugend mit einer Dosis Marxismus vergiftet. Jedenfalls entwickelte er bei revolutionären Ereignissen von allen Menschewiki den größten Schwung und das Bestreben, konsequent zu sein. Gerade deshalb hat er mehr als die anderen zum Zusammenbruch des Februarregimes beigetragen. Tschcheidse unterwarf sich ihm ganz, wenn er auch in gewissen Augenblicken Angst bekam vor dessen doktrinärer Geradlinigkeit, die den gestrigen revolutionären Zuchthäusler den konservativen Vertretern der Bourgeoisie annäherte.
    Der Menschewik Skobeljew, der seine frische Popularität der Stellung als Deputierter der letzten Duma verdankte, machte, nicht nur infolge seines jugendlichen Aussehens, den Eindruck eines Studenten, der auf einer Hausbühne die Rolle eines Staatsmannes spielt. Skobeljew spezialisierte sich auf das Löschen von "Exzessen", Beseitigung lokaler Konflikte und überhaupt auf praktische Verkleisterung der Risse der Doppelherrschaft, bis er im Mai in der unglückseligen Rolle eines Arbeitsministers in die Koalitionsregierung geriet.
    Eine einflußreichere Figur unter den Menschewiki war Dan, ein alter Parteiarbeiter, der stets als die zweite Person nach Martow galt. Wenn Sitten und Geist der deutschen Sozialdemokratie der Niedergangsepoche dem Menschewismus überhaupt in Fleisch und Blut eingegangen waren, so schien Dan nachgerade ein Mitglied der deutschen Parteileitung zu sein, ein Ebert kleineren Formats. Der deutsche Dan hat ein Jahr später in Deutschland erfolgreich jene Politik durchgeführt, die dem russischen Ebert in Rußland mißlungen war. Der Grund lag allerdings nicht in den Menschen, sondern in den Verhältnissen.
    War die erste Geige im Orchester der Sowjetmehrheit Zeretelli, so spielte auf schriller Klarinette mit blutunterlaufenen Augen Liber aus aller Lungenkraft. Das war ein Menschewik aus dem jüdischen Arbeiterbund (Bund), mit langer revolutionärer Vergangenheit, sehr aufrichtig, sehr temperamentvoll, sehr beredt, sehr beschränkt und leidenschaftlich bestrebt, sich als unbeugsamer Patriot und eiserner Staatsmann zu zeigen. Liber verzehrte sich buchstäblich in Haß gegen die Bolschewiki.
    Die Phalanx menschewistischer Führer kann man mit dem ehemaligen ultralinken Bolschewiki Wojtinski abschließen, einem angesehenen Teilnehmer der ersten Revolution, der die Katorga hinter sich hatte und im März auf dem Boden des Patriotismus mit der Partei brach. Nachdem er sich den Menschewiki angeschlossen hatte, wurde Wojtinski, wie es sich gehört, professioneller Bolschewikenfresser. Ihm fehlte nur das Temperament, um in der Hetze gegen seine früheren Gesinnungsgenossen es mit Liber aufnehmen zu können.
    Der Stab der Narodniki war ebensowenig einheitlich, aber bei weitem nicht so bedeutend und farbig. Die sogenannten Volkssozialisten, die die äußerste rechte Flanke bildeten, führte der alte Emigrant Tschajkowski, der in seinem kämpferischen Chauvinismus Plechanow glich, ohne dessen Talente oder dessen Vergangenheit zu besitzen. Neben ihm stand die alte Breschko-Breschkowskaja, die die Sozialrevolutionäre Großmutter der Russischen Revolution nannten, die sich aber eifrig als Taufmutter der russischen Konterrevolution vordrängte. Der betagte Anarchist Kropotkin, der aus seiner Jugend eine Schwäche für die Narodniki behalten hatte, benutzte den Krieg, um all das zu desavouieren, was er fast ein halbes Jahrhundert gelehrt hatte: der Staatsverneiner unterstützte die Entente, und wenn er die russische Doppelherrschaft verurteilte, so nicht im Namen der Herrschaftslosigkeit, sondern im Namen der Alleinherrschaft der Bourgeoisie. Diese Alten spielten jedoch eher eine dekorative Rolle, wenn auch Tschajkowski später, im Kriege gegen die Bolsche-wiki, an der Spitze einer der weißen Regierungen stand, die von Churchill ausgehalten wurden.
    Den ersten Platz unter den Sozialrevolutionären, allen anderen weit voran, aber nicht in der Partei, sondern über der Partei, nahm Kerenski ein, ein Mann ohne

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