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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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jegliche Parteivergangenheit. Wir werden im weiteren mehr als einmal dieser von der Vorsehung erkorenen Figur begegnen, deren Stärke in der Periode der Doppelherrschaft die Verbindung der Schwächen des Liberalismus mit den Schwächen der Demokratie bildete. Der formelle Eintritt in die Partei der Sozialrevolutionäre änderte nichts an Kerenskis verächtlichem Verhalten zu Parteien im allgemeinen: er hielt sich für den unmittelbar Auserwählten der Nation. Aber auch die sozialrevolutionäre Partei hatte ja zu jener Zeit aufgehört, eine Partei zu sein, und war eine grandiose, wahrhaft nationale Null. In Kerenski fand sie den ihr adäquaten Führer.
    Der spätere Ackerbauminister und dann auch Vorsitzende der Konstituierenden Versammlung, Tschernow, war zweifellos die repräsentativste Figur der alten sozialrevolutionären Partei und galt nicht zufällig als deren Inspirator, Theoretiker und Führer. Mit bedeutenden, aber nicht zu einer Einheit verbundenen Kenntnissen, eher ein Bücherkundiger als ein gebildeter Mensch, hatte Tschernow stets eine unbeschränkte Auswahl passender Zitate zu seiner Verfügung, die lange auf die Phantasie der russischen Jugend gewirkt hatten, ohne sie viel zu lehren. Nur auf eine einzige Frage hatte dieser redselige Führer keine Antwort: wen und wohin führt er? Die eklektischen Formeln Tschernows, aufgeputzt mit Moral und Versehen, vereinigten bis zu einer bestimmten Zeit das bunteste Publikum, das in allen kritischen Stunden nach verschiedenen Richtungen hin zerrte. Es ist nicht weiter verwunderlich, wenn Tschernow seine Methode der Parteibildung selbstzufrieden dem Leninschen "Sektierertum" gegenüberstellte.
    Tschernow kam fünf Tage nach Lenin in Petrograd an: England hatte ihn schließlich durchgelassen. Auf die vielen Begrüßungen im Sowjet antwortete der Führer der größten Partei mit der längsten Rede, über die sich Suchanow, ein halber Sozialrevolutionär, folgendermaßen äußerte: "Nicht ich allein, sondern auch viele sozialrevolutionäre Parteipatrioten runzelten die Stirn und schüttelten die Köpfe: was singt er da so unangenehm, was macht er für seltsame Grimassen und verdreht die Äuglein und spricht endlos ungereimtes Zeug." Die gesamte weitere Tätigkeit Tschernows in der Revolution entwickelte sich im Grundton seiner ersten Rede. Nach einigen Versuchen, sich Kerenski und Zeretelli von links entgegenzustellen, ergab sich Tschernow, von allen Seiten eingeklemmt, kampflos, säuberte sich von seinen Zimmerwaldismus der Emigration, ging in die Kontaktkommission und später in die Koalitionsregierung. Alles, was er tat, traf daneben. Er beschloß daher, auszuweichen. Stimmenthaltung wurde für ihn die Form des politischen Daseins. Seine Autorität schmolz von April bis Oktober noch schneller als die Reihen seiner Partei. Bei allem Unterschied zwischen Tschernow und Kerenski, die einander haßten, wurzelten beide gänzlich in der vorrevolutionären Vergangenheit, in der alten russischen morschen Gesellschaft, in der saftlosen und prätentiösen Intelligenz, die darauf brannte, die Volksmassen zu belehren, zu bevormunden, ihnen Wohltaten zu erweisen, aber völlig unfähig war, sie anzuhören, zu begreifen und von ihnen zu lernen. Ohne dieses aber gibt es keine revolutionäre Politik.
    Awksentjew, den die Partei auf die höchsten Posten der Revolution erhob - Vorsitzender des Exekutivkomitees der Bauerndeputierten, Minister des Innern, Vorsitzender des Vorparlaments -, stellte schon die völlige Karikatur eines Politikers dar: bezaubernder Literaturlehrer des Mädchengymnasiums in Orel - das ist alles, was man von ihm sagen kann. Allerdings - seine politische Tätigkeit war bei weitem bösartiger als seine Person.
    Eine große Rolle, aber mehr hinter den Kulissen, spielte in der Fraktion der Sozialrevolutionäre und im regierenden Sowjetkern Goz. Terrorist aus einer bekannten revolutionären Familie, war Goz weniger anspruchsvoll und sachlicher als seine näheren politischen Freunde. Jedoch in der Eigenschaft eines sogenannten "Praktikers" beschränkte er sich auf die Angelegenheiten der Küche und überließ die großen Fragen den anderen. Man muß übrigens hinzufügen, daß er weder Redner noch Schriftsteller war und sein wichtigstes Hilfsmittel persönliche Autorität bildete, die er mit Jahren Zwangsarbeit erkauft hatte.
    Wir haben im wesentlichen alle genannt, die man aus dem führenden Kreis der Narodniki nennen könnte. Es folgen nur noch ganz zufällige

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