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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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zwischen Menschewiki und Sozialrevolutionären bedeutete unter diesen Umständen nicht die Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft, sondern eine Koalition von Parteien, die zugunsten eines Blocks mit den besitzenden Klassen mit Proletariat und Bauernschaft gebrochen hatten.
    Aus dem Dargelegten ist klar, wie fiktiv der Sozialismus der beiden demokratischen Parteien war; aber das heißt noch nicht, daß ihr Demokratismus echt war. Im Gegenteil, gerade die Saftlosigkeit des Demokratismus erforderte eben die sozialistische Maskierung. Das russische Proletariat führte den Kampf um Demokratie in unversöhnlichem Antagonismus zur liberalen Bourgeoisie. Die demokratischen Parteien, die im Blocke mit der liberalen Bourgeoisie waren, mußten unvermeidlich mit dem Proletariat in Konflikt geraten. Dies sind die sozialen Wurzeln des weiteren erbitterten Kampfes zwischen den Versöhnlern und den Bolschewiki.
    Führt man die oben umrissenen Prozesse auf ihre nackte Klassenmechanik zurück, deren sich die Teilnehmer und sogar die Führer der beiden Versöhnlerparteien allerdings nicht restlos bewußt wurden, so entsteht etwa folgende Verteilung der historischen Funktionen. Die liberale Bourgeoisie vermochte die Massen bereits nicht mehr zu gewinnen. Darum fürchtete sie die Revolution. Aber die Revolution war für die bürgerliche Entwicklung notwendig. Von der Großbourgeoisie trennten sich zwei Abteilungen ab, die aus deren jüngeren Brüdern und Söhnen bestanden. Die eine Abteilung begab sich zu den Arbeitern, die andere zu den Bauern. Sie trachteten die einen wie die anderen an sich zu ziehen, indem sie aufrichtig und leidenschaftlich zu beweisen suchten, sie seien Sozialisten. Auf diese Weise gewannen sie tatsächlich bedeutenden Einfluß im Volke. Aber sehr bald waren die Auswirkungen ihrer Ideen ihnen über den Kopf gewachsen. Die Bourgeoisie empfand die tödliche Gefahr und gab das Alarmsignal. Die von ihr abgetrennten Abteilungen, Menschewiki und Sozialrevolutionäre, beantworteten einmütig den Zuruf des Familienältesten. Über die alten Meinungsverschiedenheiten hinwegschreitend, stellten sie sich Schulter an Schulter auf und stürzten, den Massen den Rücken zugekehrt, der bürgerlichen Gesellschaft zu Hilfe.
    Sogar verglichen mit den Menschewiki verblüfften die Sozialrevolutionäre durch Schwammigkeit und Welkheit. Den Bolschewiki erschienen sie in allen wichtigen Augenblicken einfach als Kadetten dritter Sorte. Den Kadetten galten sie als drittklassige Bolschewiki. Den Platz der zweiten Sorte nahmen in beiden Fällen die Menschewiki ein. Die schwankende Basis und die Formlosigkeit der Ideologie führten zu einer entsprechenden Menschenauslese: alle sozialrevolutionären Führer trugen den Stempel der Unfertigkeit, Oberflächlichkeit und sentimentalen Unzuverlässigkeit. Man kann ohne jede Übertreibung sagen: ein Durchschnittsbolschewik bewies in der Politik, das heißt in den Klassenbeziehungen, mehr Scharfsinn als die berühmtesten sozialrevolutionären Führer.
    Bar fester Kriterien, neigten die Sozialrevolutionäre zu ethischen Imperativen. Man braucht nicht zu beweisen, daß moralische Prätentionen sie nicht hinderten, in der großen Politik kleine Gaunereien zu begehen, was im allgemeinen charakteristisch ist für Mittelparteien ohne feste Basis, klare Doktrin und wahren sittlichen Kern.
    Im Blocke der Menschewiki und Sozialrevolutionäre gehörte der führende Platz den Menschewiki, trotz der fraglos zahlenmäßigen Überlegenheit der Sozialrevolutionäre. In dieser Rollenverteilung äußerte sich auf ihre Weise die Hega-monie der Stadt über das Dorf, das Übergewicht der städtischen Kleinbourgeoisie über die ländliche, schließlich die geistige Überlegenheit der "marxistischen" Intelligenz über die Intelligenz, die sich an die echtrussische Soziologie hielt und auf die Dürftigkeit der alten russischen Geschichte stolz war.
    In den ersten Wochen nach dem Umsturz hatte, wie wir wissen, keine der linken Parteien in der Hauptstadt ihren wirklichen Stab. Die allgemein anerkannten Führer der sozialistischen Parteien befanden sich in der Emigration. Die Führer zweiten Ranges waren vom Fernen Osten nach dem Zentrum unterwegs. Das erzeugte bei den jeweiligen Häuptern eine behutsame und abwartende Stimmung, die sie näher aneinanderstieß. Nicht eine der leitenden Gruppen führte in jenen Wochen ihre Gedanken zu Ende. Der Kampf der Parteien im Sowjet trug einen äußerst friedlichen Charakter: es

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