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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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der Vertreter der Kadettenfraktion: "Wir stellen keine Bedingungen und Forderungen, wir legen einfach auf die Waage den festen Willen, den Gegner zu überwinden." Die nationale Einigkeit wurde auch in Rußland zur offiziellen Doktrin. Während der patriotischen Kundgebungen in Moskau erklärte der Oberzeremonienmeister, Graf Benkendorf, den Diplomaten: "Hier haben Sie die Revolution, die man uns in Berlin vorausgesagt hat!" "Dieser Gedanke", erklärt der französische Gesandte Paleologue, "beherrscht offensichtlich alle." Diese Menschen betrachten es als ihre Pflicht, Illusionen zu nähren und auszustreuen in einer Situation, die, wie es scheinen sollte, Illusionen absolut ausschloß.
    Auf ernüchternde Lehren sollte man nicht lange warten. Schon gleich nach Kriegsbeginn rief einer der expansivsten Kadetten, der Advokat und Gutsbesitzer Roditschew, in der Sitzung des Zentralkomitees seiner Partei aus: "Ja glaubt ihr wirklich, daß man mit diesen Dummköpfen siegen kann!" Die Ereignisse zeigten, daß man mit Dummköpfen nicht siegen konnte. Nach, dem er bereits zur guten Hälfte den Glauben an den Sieg verloren hatte, versuchte der Liberalismus das Beharrungsvermögen des Krieges zu einer Säuberung der Kamarilla auszunutzen und die Monarchie zu einem Pakt zu zwingen. Als Hauptmittel zu diesem Zweck dienten die gegen die Hofpartei gerichteten Beschuldigungen des Germanophilentums und der Vorbereitung eines Separatfriedens.
    Im Frühling 1915, als die waffenlosen Truppen auf der ganzen Front sich im Rückzuge befanden, wurde in den Regierungssphären, nicht ohne Druck seitens der Alliierten, beschlossen, die Initiative der Privatindustrie für die Armee nutzbar zu machen. Die zu diesem Zweck geschaffene "Besondere Beratung" umfaßte neben den Bürokraten die einflußreichsten Industrieführer. Die bei Kriegsbeginn entstandenen Semstwo und Städteverbände und die im Frühling
    1915 gegründeten Kriegsindustriekomitees wurden Stützpunkte der Bourgeoisie im Kampfe um Sieg und Macht. Die Reichsduma sollte, indem sie sich auf diese Organisationen stützte, desto sicherer als Mittlerin zwischen Bourgeoisie und Monarchie auftreten.
    Die breiten politischen Perspektiven lenkten jedoch die Blicke nicht ab von den folgenschweren Tagesaufgaben. Wie aus einem Hauptreservoir wurden aus der "Besonderen Beratung" Dutzende und Hunderte von Millionen, die zu Milliarden anwuchsen, durch weitverzweigte Kanäle geleitet, berieselten reichlich die Industrie und stillten unterwegs noch eine Menge Appetit. In der Reichsduma und in der Presse wurden einige Kriegsgewinne für das Jahr 1915-1916 bekanntgegeben: Die Gesellschaft des Moskauer liberalen Textilfabrikanten Rjabuschinski wies 75% Reingewinn aus; die Twerer Manufaktur sogar 111%; das Kupferwalzwerk Koljtschugin warf bei einem Grundkapital von 10 Millionen 12 Millionen Gewinn ab. Die Tugend des Patriotismus wurde in diesem Sektor im Überfluß und dabei unverzüglich belohnt.
    Spekulationen aller Art und Börsenspiel erreichten den Paroxysmus. Riesenvermögen entstanden aus dem Blutschaum. Der Mangel an Brot und Heizstoff in der Hauptstadt hinderte den Hofjuwelier Faberge nicht, zu prahlen, er habe noch niemals so vorzügliche Geschäfte gemacht. Das Hoffräulein Wyrubowa erzählt, daß in keiner Saison so teure Kleider bestellt und so viele Brillanten gekauft wurden wie im Winter 1915-16. Die Nachtlokale waren überfüllt von Hinte r-landshelden, legalen Deserteuren und sonstigen ehrenwerten Herrschaften, für die Front zu alt, aber noch jung genug für die Freuden des Lebens. Die Großfürsten waren nicht die Letzten unter den Teilnehmern am Pestgelage während der Pest. Keiner hatte Angst, zuviel auszugeben. Von oben strömte ein ununterbrochener goldener Regen. Die "Gesellschaft" hielt Hände und Taschen hin, die aristokratischen Damen schürzten die Röcke, alle patschten durch den Blutschlamm - Bankiers, Intendanten, Industrielle, Zaren- und Großfürstenballerinen, orthodoxe Hierarchen, Hoffräuleins, liberale Deputierte, Front- und Etappengenerale, radikale Advokaten, erlauchte Mucker beiderlei Geschlechts, zahlreiche Neffen und besonders Nichten. Alle beeilten sich mit dem Raffen und Prassen, vor Angst, der segensreiche Regen könnte aufhören, und alle wiesen den schmachvollen Gedanken an vorzeitigen Frieden mit Entrüstung zurück. Gemeinsame Gewinne, äußere Niederlagen und innere Gefahren brachten die besitzenden Klassen einander näher. Die noch am Vorabend des Krieges

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