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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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scharfen Differenzierung der Volksunzufriedenheit. Der Chef der Moskauer Ochrana berichtete im Juli über die Zunahme rechter Stimmungen bei der Bourgeoisie unter dem Einfluß "der Angst vor der Möglichkeit revolutionärer Exzesse nach dem Kriege". Eine Revolution während des Krieges hielt man, wie wir sehen, noch immer für ausgeschlossen. Obendrein waren die Industriellen "über das Anbändeln einiger Führer der Kriegsindustriekomitees mit dem Proletariat" besorgt. Die allgemeine Schlußfolgerung des Gendarmerieobersten Martynow, an dem die berufliche Lektüre der marxistischen Literatur nicht spurlos vorbeigegangen war, lautete, daß die Ursache einer gewissen Besserung der politischen Lage zu suchen sei "in der mehr und mehr fortschreitenden Differenzierung der Gesellschaftsklassen, welche die in der gegenwärtigen Zeit besonders fühlbaren scharfen Interessengegensätze aufdeckt".
    Die Dumaauflösung im September 1915 war eine direkte Herausforderung der Bourgeoisie und nicht der Arbeiter. Aber während die Liberalen unter allerdings nicht sehr begeisterten Hurrarufen auseinandergingen, antworteten die Arbeiter Petrograds und Moskaus mit Proteststreiks. Das kühlte die Liberalen noch mehr ab: sie hatten am meisten Furcht vor der Einmischung des unerbetenen Dritten in ihren Familiendialog mit der Monarchie. Aber was blieb zu tun? Unter leisem Murren seines linken Flügels traf der Liberalismus die Wahl nach erprobtem Rezept: ausschließlich auf legalem Boden stehen und durch Erfüllung der patriotischen Funktionen die Bürokratie "gleichsam überflüssig" machen. Die Liste eines liberalen Ministeriums mußte man jedenfalls zurücklegen.
    Die Lage verschlechterte sich inzwischen automatisch. Im Mai 1916 trat die Duma wieder zusammen, aber niemand wußte eigentlich wozu. Zur Revolution aufzurufen, das lag am allerwenigsten in ihrer Absicht. Sonst aber hatte sie nichts zu sagen. "In dieser Session", erinnerte sich später Rodsjanko, "ging die Arbeit lau vonstatten, die Deputierten besuchten die Sitzungen unpünktlich ... Der ewige Kampf schien fruchtlos, die Regierung wollte von nichts hören, die Mißwirtschaft nahm zu, und das Land ging dem Untergange entgegen." Aus der Angst der Bourgeoisie vor der Revolution und aus der Ohnmacht der Bourgeoisie ohne Revolution schöpfte die Monarchie während des Jahres 1916 eine Art gesellschaftlicher Unterstützung.
    Zum Herbst verschärfte sich die Lage noch mehr. Die Hoffnungslosigkeit des Krieges wurde für alle offenbar, die Entrüstung der Volksmassen drohte jeden Augenblick überzulaufen. Die Hofpartei weiter wegen "Germanophilentums" attackierend, erachteten es die Liberalen gleichzeitig als notwendig, die Friedenschancen abzutasten, ihren morgigen Tag vorzubereiten. Nur so lassen sich auch die Verhandlungen eines Führers des progressiven Blocks, des Deputierten Protopopow, mit dem deutschen Diplomaten Warburg im Herbst 1916 in Stockholm erklären. Eine Dumadelegation, die den Franzosen und Engländern Freundschaftsbesuche abstattete, hatte sich in Paris und London mühelos davon überzeugen können, daß die teuren Verbündeten die Absicht hegten, während des Krieges alle Lebenssäfte aus Rußland auszupressen, um nach dem Siege das rückständige Land zum wichtigsten Feld ökonomischer Ausbeutung zu machen. Das geschlagene Rußland im Schlepptau der siegreichen Entente hätte ein Kolonialrußland bedeutet. Es blieb den russischen besitzenden Klassen kein anderer Ausweg, als zu versuchen, sich aus den zu engen Umarmungen der Entente zu befreien und, den Antagonismus der zwei mächtigen Lager ausnutzend, einen eigenen Weg zum Frieden zu finden. Die Zusammenkunft des Vorsitzenden der Dumadelegation mit dem deutschen Diplomaten, als erster Schritt auf diesem Wege, bedeutete sowohl eine Drohung an die Adresse der Alliierten zu dem Zwecke, Konzessionen zu erlangen, als auch eine Abtastung der realen Möglichkeiten einer Annäherung an Deutschland. Protopopow handelte mit Zustimmung nicht nur der zaristischen Diplomatie - die Zusammenkunft selbst fand in Gegenwart des russischen Gesandten in Schweden statt -, sondern auch der gesamten Delegation der Reichsduma. Nebenbei verfolgten die Liberalen mit dieser Sondierung kein minder wichtiges inneres Ziel: Verlasse dich auf uns - deuteten sie dem Zaren an und wir werden dir einen Separatfrieden besorgen, besser und sicherer als Stürmer.* Nach dem Plan Protopopows, das heißt seiner Inspiratoren, sollte die russische

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