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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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angehörten, zusammenzubekommen, schlug die bolschewistische Fraktion vor, ein Proportionalpräsidium zu wählen: dieser Vorschlag, der bis zu einem gewissen Grade die prinzipielle Schärfe des Zusammenstoßes verwischte und deshalb eine leidenschaftliche Verurteilung durch Lenin erfuhr, hatte jenen taktischen Vorzug, daß er den schwankenden Elementen eine Stütze sicherte. Jedoch wies Zeretelli diesen Kompromiß zurück. Das Präsidium wolle wissen, ob der Sowjet tatsächlich die Richtung geändert hat: "Die Taktik der Bolschewiki zu verfolgen, sind wir außerstande." Der von rechts vorgeschlagene Resolutionsentwurf lautete, die Abstimmung vom 1. September entspräche nicht der politischen Linie des Sowjets, der nach wie vor seinem Präsidium vertraue. Den Bolschewiki blieb nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen, und sie taten dies mit restloser Bereitwilligkeit. Trotzki, zum ersten Male nach der Befreiung aus dem Gefängnis im Sowjet erschienen und von einem beträchtlichen Teil der Versammlung heiß empfangen (beide Seiten wogen in Gedanken den Beifall: die Mehrheit oder nicht die Mehrheit?), verlangte vor der Abstimmung eine Aufklärung: gehört Kerenski in alter Weise dem Präsidium an? Nach einem Moment des Schwankens gab das ohnehin von Sünden beschwerte Präsidium bejahende Antwort und hing sich damit selbst ein schweres Bleigewicht an die Beine. Der Gegner hatte nur dies noch nötig gehabt. "Wir waren zutiefst überzeugt", erklärte Trotzki, "... daß Kerenski dem Präsidium nicht angehört. Wir haben uns geirrt. Nun sitzt zwischen Dan und Tschcheidse das Gespenst Kerenskis ... Wenn man euch vorschlägt, die politische Linie des Präsidiums gutzuheißen vergeßt nicht, daß man euch damit vorschlägt, Kerenskis Politik gutzuheißen." Die Sitzung verlief unter äußerster Spannung. Die Ordnung wurde aufrechterhalten durch das Bestreben aller, es nicht zur Explosion kommen zu lassen. Alle wollten schnellstens zur Zählung von Freund und Gegner schreiten. Alle wußten, daß es um die Frage der Macht, des Krieges, um das Schicksal der Revolution geht. Es wurde beschlossen, durch Hammelsprung abzustimmen. Hinausgehen möge, wer für die Demission des Präsidiums stimme, es sei für die Minderheit bequemer hinauszugehen als für die Mehrheit. In allen Saalecken geht heiße Agitation, jedoch mit halblauter Stimme. Altes Präsidium oder neues? Koalition oder Sowjetmacht? Zu den Türen ziehen viele Menschen, zu viele, nach Ansicht des Präsidiums. Die Führer der Bolschewiki waren der Meinung, daß ihnen an die hundert Stimmen zur Mehrheit fehlen würden: "auch das wäre schon schön", trösteten sie sich im voraus. Arbeiter und Soldaten ziehen und ziehen zu den Türen. Verhaltenes Stimmengewirr, kurze Streitausbrüche. Von der einen Seite bricht eine Stimme durch: "Kornilowianer", von der anderen: "Julihelden". Die Prozedur währt fast eine Stunde. Es schwanken die Schalen der unsichtbaren Waage. Das Präsidium, in kaum zu meisternder Erregung, bleibt die ganze Zeit über auf dem Podium. Endlich ist das Resultat gezählt und verkündet: Für Präsidium und Koalition 414 Stimmen, dagegen 519, Stimmenthaltungen 67! Die neue Mehrheit applaudiert stürmisch, begeistert, rasend. Sie ist dazu berechtigt: der Sieg ist nicht billig erkauft. Ein gut Teil Weges liegt zurück.
    Noch bevor sie sich von dem Schlag erholen konnten, steigen die entthronten Führer mit langen Gesichtern vom Podium. Zeretelli kann sich einer dräuenden Prophezeiung nicht enthalten: "Wir verlassen diese Tribüne", schreit er im Gehen halb zum Saal gewendet, "im Bewußtsein, daß wir ein halbes Jahr lang das Banner der Revolution hoch und in Ehren gehalten haben. Jetzt ist das Banner in eure Hände übergegangen. Wir können nur den Wunsch aussprechen, daß ihr es in gleicher Weise mindestens halb so lange halten möget !" Zeretelli irrte bitter sowohl in bezug auf die Fristen wie auch auf alles übrige.
    Der Petrograder Sowjet, Stammvater aller übrigen Sowjets, stand von nun ab unter der Leitung der Bolschewiki, gestern noch eines "verschwindenden Häufleins von Demagogen". Trotzki erinnerte von der Präsidententribüne herab daran, daß von den Bolschewiki noch nicht die Beschuldigung genommen sei, im Dienste des deutschen Stabes zu stehen. "Mögen doch die Miljukow und Gutschkow Tag für Tag ihr Leben erzählen. Sie werden dies nicht tun, wir aber sind jeden Tag bereit, Rechenschaft über unsere Handlungen abzulegen, wir haben

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