Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
deren Arbeit auf sich genommen. Inzwischen gerieten jedoch die Arbeiterorganisationen, die bereits auf eigenen Füßen standen, immer mehr unter Führung der Bol-schewiki. "Die Fabrikkomitees ...", schrieb Trotzki im August, "entstehen nicht auf fliegenden Meetings. Die Masse zeichnet bei deren Zusammensetzung jene aus, die an Ort und Stelle, im Alltagsleben der Fabrik, ihre Standhaftigkeit, Sachlichkeit und Ergebenheit für die Arbeiterinteressen bewiesen haben. Und diese Fabrikkomitees ... bestehen in überwiegender Mehrheit aus Bolschewiki." Von Bevormundung der Fabrikkomitees und Gewerkschaften seitens der Versöhnlersowjets konnte nicht mehr die Rede sein, im Gegenteil, hier eröffnete sich ein Feld erbitterten Kampfes. In Fragen, wo die Massen an ihrem Lebensnerv getroffen wurden, vermochten die Sowjets immer weniger sich den Gewerkschaften und Fabrikkomitees zu widersetzen. So hatten die Moskauer Gewerkschaften entgegen dem Sowjetbeschluß den Generalstreik durchgeführt. In weniger krasser Form fanden ähnliche Konflikte allerorts statt, und in der Regel gingen nicht die Sowjets als Sieger aus ihnen hervor.
Durch den eigenen Kurs in eine Sackgasse getrieben, waren die Versöhnler gezwungen, für die Sowjets Nebenbeschäftigungen zu "erfinden", sie auf den Weg des Kulturträgertums überzuleiten, eigentlich Zerstreuung für sie zu suchen. Vergebens: die Sowjets waren geschaffen für den Kampf um die Macht; für andere Aufgaben existierten andere, geeignetere Organisationen. "Die gesamte Arbeit, die auf dem menschewistisch-sozialrevolutionären Geleise rollte", schreibt der Saratower Bolschewik Antonow, "verlor jeglichen Sinn ... In der Sitzung des Exekutivkomitees gähnten wir bis zur Unschicklichkeit vor Langeweile: nichtig und leer war die sozialrevolutionär-menschewistische Schwatzbude."
Die hinsiechenden Sowjets vermochten immer weniger Stütze ihres Petrograder Zentrums zu sein. Die Korrespondenz zwischen dem Smolny und der Provinz schlief allmählich ein: es gab nichts zu schreiben, nichts vorzuschlagen, es blieben keine Perspektiven, keine Aufgaben mehr. Die Losgelöstheit von den Massen nahm die äußerst empfindliche Form einer Finanzkrise an. Die Versöhnlersowjets in der Provinz waren selbst mittellos und konnten ihren Stab im Smolny nicht unterstützen; linke Sowjets verweigerten demonstrativ die Finanzhilfe dem Exekutivkomitee, das sich durch die Beteiligung an der Arbeit der Konterrevolution befleckt hatte.
Der Welkungsprozeß der Sowjets kreuzte sich aber mit Prozessen anderer, teilweise entgegengesetzter Art. Es erwachten die fernen Randgebiete, rückständigen Bezirke, entlegensten Winkel und schufen ihre Sowjets, die anfangs revolutionäre Frische entwickelten, solange sie nicht unter den zersetzenden Einfluß des Zentrums oder unter Regierungsrepressalien gerieten. Die Gesamtzahl der Sowjets stieg rapid. Ende August zählte die Kanzlei des Exekutivkomitees etwa sechshundert Sowjets, hinter denen dreiundzwanzig Millionen Wähler standen. Das offizielle Sowjetsystem erhob sich über den Menschenozean, der mächtig wogte und seine Wellen nach links trieb.
Die politische Wiederauferstehung der Sowjets, die mit deren Bolschewisierung zusammenfiel, begann von unten. In Petrograd erhoben als erste die Bezirke die Stimme. Am 21. Juli präsentierte die Konferenzdelegation der vereinigten Bezirkssowjets dem Exekutivkomitee eine Liste von Forderungen: Auflösung der Reichsduma, Bestätigung der Unantastbarkeit der Armeeorganisationen durch Regierungsdekret, Wiederherstellung der linken Presse, Abbruch der Arbeiterentwaffnungen, Einstellung der Massenverhaftungen, Zügelung der rechten Presse, Schluß mit dem Auflösen von Regimentern und den Todesstrafen an der Front. Das Hinabschrauben der politischen Forderungen im Vergleich zu der Julidemonstration ist ganz offensichtlich; doch war es nur der erste Schritt eines Genesenden. Während sie die Losungen beschnitten, waren die Bezirke bestrebt, die Basis zu verbreitern. Die Führer des Exekutivkomitees begrüßten diplomatisch die "Feinfühligkeit" der Bezirkssowjets, kamen aber dann darauf hinaus, alles Unheil komme vom Juliaufstande. Die Parteien trennten sich höflich, aber kühl.
Das Programm der Bezirkssowjets eröffnet eine eindrucksvolle Kampagne. Die Iswestja drucken tagtäglich. Resolutionen von Sowjets, Gewerkschaften, Betrieben, Kriegsschiffen und Truppenteilen, die die Auflösung der Reichsduma, Einstellung der Repressalien gegen die
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