Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Unentschlossenheit. Alles kehrte sich gegen die Regierung. Bedingte Freunde wurden Gegner, Gegner Feinde, die Feinde bewaffneten sich. Die Konterrevolution, inspiriert vom Zentralkomitee der Kadettenpartei, dem politischen Stab all jener, die etwas zu verlieren hatten, mobilisierte ganz offen. Das leitende Komitee des Offiziersverbandes beim Hauptquartier in Mohilew, der etwa hunderttausend unzufriedene Kommandeure repräsentierte, und der Sowjet des Verbandes der Kosakentruppen in Petrograd bildeten zwei militärische Hebel der Konterrevolution. Die Reichsduma beschloß, trotz Verfügung des Junikongresses der Sowjets, ihre "Privatberatungen" fortzusetzen. Ihr provisorisches Komitee bot legale Deckung für konterrevolutionäre Arbeit, die von Banken und Gesandtschaften der Entente weitestgehend finanziert wurde. Gefahren drohten den Versöhnlern von rechts und links. Beunruhigt nach allen Richtungen spähend, beschloß die Regierung insgeheim, Mittel zur Organisierung einer gesellschaftlichen Konterspionage, das heißt einer politischen Geheimpolizei, zu bewilligen. Ungefähr um die gleiche Zeit, Mitte Juni, setzte die Regierung die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung auf den 17. September fest. Die liberale Presse führte trotz Teilnahme der Kadetten an der Regierung eine hartnäckige Kampagne gegen den offiziell festgesetzten Termin, an den niemand glaubte und den niemand ernsthaft verteidigte. Das Bild der Konstituierenden Versammlung, so grell in den ersten Märztagen, verblaßte und verschwamm. Alles kehrte sich gegen die Regierung, sogar ihre blutarmen guten Absichten. Erst am 30. Juni faßte sie Mut, die adligen Dorfvormünder, die Semskije Natschalniki (Landvögte), deren Name allein schon seit ihrer Einführung durch Alexander III. dem Lande verhaßt war, abzuschaffen. Und diese erzwungene und verspätete Teilreform drückte der Provisorischen Regierung den Stempel schmachvoller Feigheit auf Währenddessen erholte sich der Adel von seiner Angst, die Bodenbesitzer schlossen sich zusammen und begannen vorzustoßen. Das provisorische Dumakomitee wandte sich Ende Juni an die Regierung mit der Forderung, entschiedene Maßnahmen zum Schutze der Gutsbesitzer gegen die Bauern zu treffen, die von "verbrecherischen Elementen" aufgewiegelt wären. Am 1. Juli wurde in Moskau der Allrussische Kongreß der Bodenbesitzer eröffnet, in seiner überwiegenden Mehrheit adlig. Die Regierung wand sich, bemüht, bald die Muschiks, bald die Gutsbesitzer durch Phrasen zu hypnotisieren. Am schlimmsten aber stand es an der Front. Die Offensive, die der entscheidende Einsatz Kerenskis auch im inneren Kampfe geworden war, zuckte in Konvulsionen. Der Soldat wollte nicht Krieg führen. Die Diplomaten des Fürsten Lwow fürchteten sich, den Diplomaten der Entente in die Augen zu schauen. Eine Anleihe brauchte man um jeden Preis. Um feste Hand zu zeigen, unternahm die ohnmächtige und gezeichnete Regierung eine Offensive gegen Finnland, die sie, wie alle ihre schmutzigsten Geschäfte, durch die Hände der Sozialisten verwirklichte. Gleichzeitig wuchs der Konflikt mit der Ukraine stärker an und führte zum offenen Bruch.
Weit zurück lagen die Tage, wo Albert Thomas Hymnen sang auf die strahlende Revolution und auf Kerenski. Anfang Juli löste den französischen Gesandten Paléologue, der allzu stark nach dem Aroma Rasputinscher Salons duftete, der "radikale" Noulens ab. Der Journalist Claude Anet hielt dem neuen Gesandten einen einführenden Vortrag über Petrograd. Gegenüber der französischen Gesandtschaft, auf der anderen Seite der Newa, läge der Wyborger Bezirk. "Das ist der Bezirk der großen Fabriken, der restlos den Bolschewiki gehört. Lenin und Trotzki walten dort wie die Herren." Im gleichen Bezirk befänden sich die Kasernen des Maschinengewehrregiments, das etwa zehntausend Mann und über tausend Maschinengewehre zähle: weder Sozialrevolutionäre noch Menschewiki hätten Zutritt zu den Kasernen des Regiments. Die übrigen Regimenter seien entweder bolschewistisch oder neutral. "Wollten Lenin und Trotzki Petrograd besetzen, wer würde sie daran hindern?" Noulens hörte staunend zu. "Weshalb aber duldet die Regierung einen solchen Zustand?" - "Was bleibt ihr anderes zu tun übrig?" antwortete der Journalist. "Man muß begreifen, daß die Regierung über keine andere Macht als über die moralische verfügt, und auch die scheint mir sehr schwach zu sein ... "
Keinen Ausweg findend, zersplitterte die erwachte Energie der
Weitere Kostenlose Bücher