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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Vorabend einer Explosion." Eine Aktion kam auch wirklich zum Durchbruch. Der Anstoß dazu folgte von oben, aus den regierenden Sphären.
    Am gleichen Tage, als Trotzki und Lunatscharski bei den Maschinengewehrschützen über die Unzulänglichkeit der Koalition sprachen, traten vier Minister-Kadetten, die Koalition sprengend, aus der Regierung aus. Als Vorwand wählten sie das für ihre Großmachtansprüche unannehmbare Kompromiß, das ihre Versöhnlerkollegen mit der Ukraine abgeschlossen hatten. Der wirkliche Grund des demonstrativen Bruchs lag darin, daß die Versöhnler mit der Zähmung der Massen zögerten. Die Wahl des Moments war durch das vorläufig offiziell noch nicht zugegebene, jedoch für alle Eingeweihten außer Zweifel stehende Fiasko der Offensive diktiert. Die Liberalen erachteten es an der Zeit, ihre linken Verbündeten Aug' in Aug' mit der Niederlage und den Bolschewiki zu lassen. Das Gerücht vom Rücktritt der Kadetten verbreitete sich unverzüglich in der Hauptstadt und verallgemeinerte politisch alle offenen Konflikte in der einen Parole, richtiger dem einen Schrei: Schluß mit dem Hin und Her der Koalition! Soldaten und Arbeiter glaubten, von der Entscheidung der Frage, wer weiter das Land regieren werde, die Bourgeoisie oder die eigenen Sowjets, hingen alle anderen Fragen ab: sowohl die des Arbeitslohns wie die des Brotpreises wie auch jene, ob man an der Front unbekannt wofür, umzukommen habe. In diesen Erwartungen war ein gewisses Element von Illusion, sofern die Massen hofften, durch den Regierungswechsel die sofortige Lösung aller schmerzlichen Fragen zu erreichen. Doch letzten Endes hatten sie recht: die Machtfrage entschied die Richtung der gesamten Revolution, das heißt, sie bestimmte auch das Schicksal jedes einzelnen. Anzunehmen, die Kadetten hätten jene Wirkung, die ihr Akt offener Sabotage gegen die Sowjets hervorrufen würde, nicht vorauszusehen vermocht, hieße Miljukow entschieden unterschätzen. Der Führer des Liberalismus war sichtlich bestrebt, die Versöhnler in eine zugespitzte Situation hineinzutreiben, aus der nur das Bajonett einen Ausweg schaffen könnte: in jenen Tagen glaubte er fest, ein kühner Aderlaß würde die Lage retten.
    Am Morgen des 3. Juli wählten einige tausend Maschinengewehrschützen, nachdem sie die Versammlung der Kompanie- und Regimentskomitees ihres Regiments gesprengt hatten, einen eigenen Vorsitzenden und verlangten sofortige Beratung der Frage über ein bewaffnetes Auftreten. Das Meeting nahm sogleich einen stürmischen Lauf. Die Frontfrage wurde von der Regierungskrise durchkreuzt. Der Versammlungsvorsitzende Golowin, Bolschewik, versuchte zu bremsen, indem er vorschlug, sich vorher mit anderen Truppenteilen und der Militärischen Organisation zu verständigen. Doch jedes Anzeichen von Verschleppung brachte die Soldaten außer sich. In der Versammlung tauchte der Anarchist Bleichmann auf, eine kleine, aber farbige Gestalt auf dem Hintergrunde des Jahres 1917. Mit sehr bescheidenem Ideengepäck, aber einem gewissen Instinkt für die Masse, aufrichtig in seiner ewig entzündbaren Beschränktheit, mit entblößter Brust und wildem Lockenhaar, fand Bleichmann in Versammlungen nicht wenig halbironische Sympathien. Die Arbeiter zwar verhielten sich ihm gegenüber zurückhaltend, etwas ungeduldig, besonders die Metallarbeiter. Die Soldaten jedoch lächelten lustig über seine Reden, stießen einander mit den Ellenbogen an, ermunterten den Sprecher durch kernige Wörtchen: sie standen sichtlich wohlwollend zu seinem exzentrischen Aussehen, seiner unüberlegten Entschlossenheit, seinem wie Essig beißenden jüdisch-amerikanischen Akzent. Ende Juni plätscherte Bleichmann in allerhand improvisierten Meetings, wie ein Fisch im Wasser. Seinen Entschluß hatte er stets bereit: heraus mit der Waffe in der Hand Organisation? "Uns organisiert die Straße." Aufgabe? "Die Provisorische Regierung stürzen, wie man es mit dem Zaren gemacht hat, obwohl auch damals keine Partei dazu aufforderte." Solche Reden entsprachen in jenem Augenblick am allerbesten der Stimmung der Maschinengewehrschützen, und nicht nur ihrer. Auch viele der Bolschewiki verbargen ihre Befriedigung nicht, wenn die unteren Schichten ihre offiziellen Ermahnungen übergingen. Die aufgeklärten Arbeiter erinnerten sich noch, daß im Februar die Führer just am Vorabend des Sieges daran gewesen waren, zum Rückzug zu blasen; daß im März der Achtstundentag auf Initiative von unten erobert

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