Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Maschinengewehrkommando, der revolutionärste Truppenteil, wird in Kampfform gebracht. Es geht ein eifriges Putzen der Colt-Maschinengewehre: es sind ihrer achtzig Stück. Zur Kontrolle des Kais und der Troizki-Brücke werden Maschinengewehre auf der Festungsmauer aufgestellt. Vor dem Tor bezieht eine verstärkte Wache Posten. In die Umgegend sind Patrouillen ausgeschickt. Doch im Fieber der Morgenstunden erweist sieh, daß im Innern der Festung selbst die Lage noch nicht als völlig gesichert betrachtet werden kann. Unklarheit wird von einem Radfahrerbataillon hineingetragen. Gleich den aus wohlhabenden und reichen Bauern rekrutierten Kavalleristen stellen die Radfahrer, gebildet aus den bürgerlichen Zwischenschichten, die konservativsten Teile der Armee dar. Ein Thema für idealistische Psychologen: Es genügt dem Menschen, zumindest in einem so armen Lande wie Rußland, sich zum Unterschiede von den anderen auf zwei Rädern mit Übersetzung zu fühlen - und sein Stolz beginnt sich zu blähen wie seine Radreifen. In Amerika ist für einen solchen Effekt schon ein Automobil nötig.
Zur Unterdrückung der Julibewegung herbeigeholt, war das Bataillon seinerzeit eifrig um die Einnahme des Ksches-sinskaja-Palais bemüht gewesen und dann als besonders zuverlässiger Truppenteil in der Peter-Paul-Festung untergebracht worden. Am gestrigen Meeting, welches über das Schicksal der Festung entschied, hatten, wie sieh herausstellte, die Radler nicht teilgenommen: die Disziplin im Bataillon war noch so weit erhalten, daß es den Offizieren gelang, die Soldaten vom Hinausgehen in den Festungshof abzuhalten. Auf die Radfahrer rechnend, trägt der Festungskomma n-dant den Kopf hoch, spricht häufig telephonisch mit Kerenskis Stab und plant scheinbar, sogar den Kommissar des Militärischen Revolutionskomitees zu verhaften. Man darf diese ungeklärte Lage nicht eine Minute länger dulden! Auf Befehl aus dem Smolny schneidet Blagonrawow dem Gegner den Weg ab: über den Kommandanten wird Hausarrest verhängt, die Telephonapparate werden in allen Offizierswohnungen abgenommen. Aus dem Regierungsstab fragt man erregt an, weshalb der Kommandant verstummt sei und was denn überhaupt in der Festung vor sich gehe. Blagonra-wow meldet ehrerbietig durch durch das Telephon, die Festung komme von nun an nur noch den Befehlen des Militärischen Revolutionskomitees nach, an das sich die Regierung fernerhin auch wenden müsse.
Alle Truppenteile der Festungsgarnison nehmen die Verhaftung des Kommandanten mit voller Befriedigung auf. Doch die Radler verhalten sich ausweichend. Was steckt hinter ihrem düsteren Schweigen: lauernde Feindseligkeit oder letztes Schwanken? "Wir beschließen, ein Sondermeeting für die Radler zu veranstalten", schreibt Blagonrawow, "und dazu unsere besten agitatorischen Kräfte einzuladen, in erster Linie Trotzki, der riesige Autorität und Einfluß bei den Soldatenmassen genießt." Gegen 4 Uhr nachmittags versammelte sich das ganze Bataillon im Gebäude des benachbarten Zirkus Modern. Als Sprecher der Regierung trat Generalquartiermeister Poradelow auf der als Sozialrevolutionär galt. Seine Einwände waren derart vorsichtig, daß sie zweideutig klangen. Um so vernichtender griffen die Vertreter des Komitees an. Die letzte oratorische Schlacht um die Peter-Paul-Festung endete, wie zu erwarten war: mit allen Stimmen gegen dreißig hieß das Bataillon Trotzkis Resolution gut. Wieder war einer der möglichen bewaffneten Konflikte vor dem Kampfe und ohne Blut entschieden worden. Das eben ist der Oktoberaufstand. Dieses sein Stil.
Auf die Festung konnte man sich von nun an mit ruhiger Sicherheit verlassen. Aus dem Arsenal wurden ohne alle Hindernisse Waffen geliefert. Im Smolny, im Zimmer der Fabrikkomitees, standen Betriebsdelegierte Schlange, um Waffenanweisungen zu erhalten. Die Hauptstadt hatte in den Kriegsjahren viele Schlangen gesehen: jetzt entstanden die ersten um Gewehre. Aus allen Bezirken strömten Lastautos zum Arsenal. "Die Peter-Paul-Festung war nicht wiederzuerkennen", schreibt der Arbeiter Skorinko, "ihre gepriesene Stille war vom Automobilkeuchen, Wagenknarren, Schreien gestört. An den Lagern herrschte besonderes Gedränge ... Hier führte man an uns auch die ersten Gefangenen vorbei Offiziere und Junker." An diesem Tage erhielt Gewehre das 180. Infanterieregiment, entwaffnet wegen aktiver Teilnahme am Juliaufstande.
Die Folgen des Meetings im Zirkus Modern äußerten sich auch auf der Gegenseite: die
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