Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Radfahrer, die seit dem Monat Juli das Winterpalais zu schützen hatten, verließen eigenmächtig die Posten und erklärten, die Regierung nicht mehr schützen zu wollen. Das war ein ernster Schlag. Die Radfahrer mußten durch Junker ersetzt werden. Militärische Stütze der Regierung blieben immer mehr die Offiziersschulen. Das engte nicht nur die Ordnungsarmee äußerst ein, sondern enthüllte auch restlos deren sozialen Bestand.
Die Arbeiter der Putilow-Werk, und nicht sie allein, schlugen dem Smolny vor, an die schnellste Entwaffnung der Junkerschulen zu gehen. Wäre diese Maßnahme nach sorgfältiger Vorbereitung und Verständigung mit den Bedienungskommandos der Schulen in der Nacht zum 25. durchgeführt worden, die Einnahme des Winterpalais am nächsten Tag hätte keine Schwierigkeiten bereitet. Wären die Junker wenigstens in der Nacht zum 26. entwaffnet worden, nach Einnahme des Winterpalais, der Versuch des Gegenaufstandes am 29. Oktober wäre nicht erfolgt. Aber die Leiter zeigten noch in vielen Dingen "Großmut", in Wirklichkeit Überfluß an optimistischer Sicherheit, und horchten nicht immer mit genügender Aufmerksamkeit der nüchternen Stimme von unten: Lenins Abwesenheit äußerte sich auch darin. Die Folgen der Versäumnisse und Fehler mußten die Massen wettmachen, mit unnötigen Opfern auf beiden Seiten. Im ernsten Kampfe gibt es keine schlimmere Grausamkeit als unzeitgemäße "Großmut"!
In der Tagessitzung des Vorparlaments sang Kerenski seinen Schwanengesang. In der letzten Zeit befände sich die Bevölkerung Rußlands, besonders der Hauptstadt, in Alarm: "Appelle zum Aufstand werden täglich in den Zeitungen der Bolschewiki gedruckt." Der Redner zitierte die Artikel des steckbrieflich verfolgten Staatsverbrechers Wladimir Ulja-now-Lenin. Die Zitate sprachen deutlich und bewiesen unwiderlegbar, daß die obengenannte Person zum Aufstand rief. Und in welcher Situation? In dem Augenblicke, wo die Regierung über die Frage der Übergabe des Bodens in die Hände der Bauernkomitees und über Maßnahmen zur Beendigung des Krieges diskutiert. Die hätten bisher mit der Niederschlagung der Verschwörer gezögert, um diesen die Möglichkeit zu geben, ihre Fehler selbst gutzumachen. "Das eben ist das Schlimme", tönt es aus dem Sektor, den Miljukow anführt. Doch Kerenski kommt nicht aus der Fassung: "Ich ziehe im allgemeinen vor, daß die Regierungsmacht langsamer, dafür aber zuverlässiger und im erforderlichen Augenblick entschiedener vorgeht." Solche Worte klingen seltsam aus diesem Munde! Jedenfalls seien "gegenwärtig alle Fristen überschritten", die Bolschewiki hätten nicht nur nicht Buße getan, sondern zwei Kompanien angefordert und eigenmächtige Verteilung von Waffen und Patronen vorgenommen. Die Regierung beabsichtige diesmal, den Exzessen des Pöbels ein Ende zu bereiten. "Ich sage mit vollem Bewußtsein: Pöbel." Rechts nimmt man die Beleidigung an die Adresse des Volkes mit stürmischem Applaus auf. Er, Kerenski, habe bereits befohlen, notwendig gewordene Verhaftungen vorzunehmen. "Besonders beachtenswert sind die Reden des Vorsitzenden des Petrograder Sowjets, Bronstein-Trotzkis." Man möge wissen: die Regierung habe Kräfte mehr als genug; von der Front kämen dauernd Forderungen nach entschiedenen Maßnahmen gegen die Bolschewiki. In diesem Augenblick überreicht Konowalow dem Redner ein Funktelegramm des Militärischen Revolutionskomitees an die Garnisontruppen: "Das Regiment in volle Kampfbereitschaft bringen und weitere Befehle abwarten." Kerenski schließt feierlich: "In der Sprache des Gesetzes und der Justiz wird dies als Aufstand bezeichnet." Miljukow bezeugt: "Kerenski brachte diese Worte im zufriedenen Tone eines Advokaten hervor, dem es endlich gelang, seinen Gegner zu überführen." "Jene Gruppen und Parteien, die es gewagt haben, die Hand gegen den Staat zu erheben, werden wir unverzüglich und restlos liquidieren." Der ganze Saal mit Ausnahme des linken Teiles applaudiert demonstrativ. Die Rede schließt mit der Forderung: noch heute, in dieser Sitzung, Antwort zu geben, kann die Regierung bei "Erfüllung ihrer Pflicht mit Sicherheit auf die Unterstützung dieser hohen Versammlung rechnen"?
Ohne erst die Abstimmung abzuwarten, kehrte Kerenski in den Stab zurück, nach seinen eigenen Worten überzeugt, daß noch keine Stunde verstreichen dürfte, bis er den ihm - unbekannt wofür - erforderlichen Beschluß erhalten würde. Es kam jedoch anders. Von zwei bis sechs Uhr
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