Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
eine überflüssige Stunde ohne Arbeit. Am 24. zählte man in Petrograd bereits zwei-, dreihundert Provinzdelegierte, und die Mehrzahl davon wurde auf die eine oder andere Weise in die Mechanik des Aufstandes eingefügt. Um 2 Uhr mittags versammelten sie sich im Smolny zu einer Fraktionssitzung, um einen Berichterstatter vom Zentralkomitee der Partei anzuhören. Unter ihnen waren Schwankende, die, wie Sinowjew und Kamenjew, eine abwartende Politik vorgezogen haben würden; und auch einfach nicht genügend zuverlässige Rekruten. Von einer Darstellung des Aufstandsplanes vor der Fraktion konnte nicht die Rede sein: was in einer großen, wenn auch geschlossenen Versammlung gesprochen wird, wird unvermeidlich nach außen getragen. Man darf noch nicht einmal die Defensivhülle des Angriffes zerreißen und beiseitewerfen, ohne zu riskieren, im Bewußtsein einzelner Garnisonteile Verwirrung zu stiften. Doch muß man gleichzeitig zu verstehen geben, daß der Entscheidungskampf bereits begonnen und dem Kongreß lediglich verbleibt ihn zu krönen.
Mit Berufung auf die kürzlich erschienenen Artikel von Lenin beweist Trotzki, daß "eine Verschwörung den Prinzipien des Marxismus nicht widerspricht", wenn die objektiven Verhältnisse einen Aufstand möglich und unvermeidlich machen. "Die physische Barriere auf dem Wege zur Macht muß man durch einen Schlag überwinden" ... Jedoch ging bis jetzt die Politik des Militärischen Revolutionskomitees über den Rahmen der Defensive noch nicht hinaus. Natürlich will diese Defensive recht weit gefaßt sein. Die Sicherung des Erscheinens der bolschewistischen Presse mit Hilfe einer bewaffneten Macht oder das Zurückhalten der Aurora in der Newa - "Ist das Verteidigung, Genossen?" - "Das ist Verteidigung!" Wenn es der Regierung einfallen sollte, uns zu verhaften, so sind für diesen Fall auf dem Dache des Smolny Maschinengewehre aufgestellt. "Auch das ist Verteidigung, Genossen." Und was soll mit der Provisorischen Regierung werden? lautet eine schriftliche Anfrage. "Sollte Kerenski versuchen, sich dem Sowjetkongreß nicht zu unterwerfen", antwortete der Referent, "so würde der Widerstand der Regierung "eine polizeiliche und nicht eine politische Frage" schaffen." Im Wesen war dem beinahe so.
In diesem Augenblick wird Trotzki hinausgerufen zur Aussprache mit einer soeben eingetroffenen Deputation der Stadtduma. In der Hauptstadt herrscht allerdings vorderhand Ruhe, doch sind beunruhigende Gerüchte im Umlauf. Das Stadtoberhaupt stellt Fragen. - Beabsichtigt der Sowjet einen Aufstand zu machen? Und was soll mit der Ordnung in der Stadt werden? Und was wird dabei mit der Duma geschehen, wenn sie die Umwälzung nicht anerkennt? Diese ehrenwerten Herren möchten gar zuviel wissen. Die Frage der Macht, lautet die Antwort, unterliegt der Entscheidung des Sowjetkongresses. Ob es zum bewaffneten Kampf kommen wird, "hängt nicht so sehr von den Sowjets wie von jenen ab, die entgegen dem einmütigen Willen des Volkes die Staatsmacht in ihren Händen festhalten". Sollte der Kongreß die Macht von sich weisen, so wird der Petrograder Sowjet sich dem unterwerfen. Doch die Regierung selbst sucht offensichtlich einen Zusammenstoß. Ein Haftbefehl gegen das Militärische Revolutionskomitee ist erlassen. Darauf können die Arbeiter und Soldaten nur mit erbittertstem Widerstand antworten. Plünderungen und Gewaltakte von Verbrecherbanden? Der heute erlassene Befehl des Komitees lautet: "Beim ersten Versuch dunkler Elemente, in den Petrograder Straßen Wirren, Plünderungen, Messerstechereien oder Schießereien hervorzurufen, werden die Verbrecher vom Antlitz der Erde ausgetilgt werden." Hinsichtlich der Stadtduma würde sich im Falle eines Konfliktes die konstitutionelle Methode anwenden lassen: Auflösung und Neuwahlen. Die Delegation ging unbefriedigt davon. Aber worauf hatte sie eigentlich gerechnet?
Der offizielle Besuch der Stadtväter im Lager der Meuterer war eine allzu offene Ohnmachtsdemonstration der Regierung. "Vergeßt nicht, Genossen", sagte Trotzki, zur bolschewistischen Fraktion zurückgekehrt, "daß noch vor wenigen Wochen, als wir die Mehrheit erhielten, wir nur eine Firma waren - ohne Druckerei, ohne Kasse, ohne Filialen -, und jetzt kommt eine Deputation der Stadtduma zum verhafteten Militärischen Revolutionskomitee, sich über das Geschick von Stadt und Staat zu erkundigen."
Die Peter-Paul-Festung, politisch erst gestern erobert, trifft heute ihre Rüstungen. Das
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