Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Versöhnlertum bereits derart mit der Bourgeoisie verkoppelt und verbunden hatten und die Bourgeoisie derart konterrevolutionär geworden war, daß von keinerlei friedlicher Entwicklung mehr die Redesein konnte."
War das Proletariat politisch uneinheitlich und nicht entschieden genug, um so weniger die Bauernarmee. Durch ihr Verhalten während des 3. bis 4. Juli hatte die Garnison den Bolschewiki die volle Möglichkeit geschaffen, die Macht zu ergreifen. Jedoch befanden sich im Garnisonsbestand noch neutrale Teile, die bereits am Abend des 4. Juli entschieden in die Richtung der patriotischen Parteien einschwenkten. Am 5. Juli stellen sich die neutralen Regimenter auf seiten des Exekutivkomitees, und die zu den Bolschewiki neigenden Regimenter sind bestrebt, eine neutrale Färbung anzunehmen. Das hat den Behörden die Hände viel mehr gelöst als die verspätete Ankunft der Fronttruppen. Hätten die Bol-schewiki am 4. Juli in der Hitze die Macht übernommen, die Petrograder Garnison hätte nicht nur selbst sie nicht behalten, sondern auch die Arbeiter gehindert, sie im Falle eines unvermeidlichen Anschlags von außen zu verteidigen. Noch ungünstiger sah die Lage in der aktiven Armee aus. Der Kampf um Frieden und Land hatte sie, besonders seit der Junioffensive, sehr empfänglich gemacht für die Parolen der Bolschewiki. Aber der sogenannte "elementare" Bolschewismus der Soldaten identifizierte sich keinesfalls in ihrem Bewußtsein mit einer bestimmten Partei, deren Zentralkomitee und deren Führern. Soldatenbriefe aus jener Zeit geben diese Verfassung der Armee sehr grell wieder. "Bedenkt, ihr Herren Minister und obersten Führer", schreibt eine rauhe Soldatenhand von der Front, "wir verstehen uns auf Parteien schlecht, aber nicht fern sind Zukunft und Vergangenheit, der Zar hat euch nach Sibirien geschickt und in Gefängnisse gesteckt, wir aber werden euch auf die Bajonette setzen." Äußerster Grad der Erbitterung gegen die Spitzen, die betrügen, vermengt sich in diesen Zeilen mit dem Eingeständnis der eigenen Ohnmacht: "Wir verstehen uns auf Parteien schlecht." Gegen Krieg und Offizierstand rebellierte die Armee dauernd, wobei sie die Parolen des bolschewistischen Vokabulars benutzte. Aber den Aufstand zu beginnen für die Machtübergabe an die bolschewistische Partei, dafür war die Armee noch längst nicht bereit. Die zuverlässigen Teile zur Unterdrückung Petrograds hatte die Regierung aus den der Hauptstadt nächstgelegenen Truppen ausgesondert, ohne auf aktiven Widerstand der übrigen Teile zu stoßen, und sie hatte die Staffeln herangeführt ohne Widerstand der Eisenbahner. Die unzufriedene, rebellische, leicht entzündbare Armee verblieb politisch ungeformt; in ihrer Zusammensetzung gab es zu wenig festgefügte bolschewistische Kerne, fähig, den Gedanken und Handlungen der lockeren Soldatenmasse einheitliche Richtung zu geben.
Andererseits benutzten die Versöhnler, um die Front gegen Petrograd und das bäuerliche Hinterland auszuspielen, nicht ohne Erfolg jene vergifteten Waffen, die die Reaktion im März vergeblich versucht hatte, gegen die Sowjets anzuwenden. Sozialrevolutionäre und Menschewiki sagten den Soldaten an der Front: die Petrograder Garnison liefert euch, unter dem Einfluß der Bolschewiki, keinen Ersatz; die Arbeiter wollen für die Bedürfnisse der Front nicht arbeiten; hören jetzt die Bauern auf die Bolschewiki und eignen sich den Boden an, bleibt nichts übrig für die Frontler. Die Soldaten bedurften noch einer ergänzenden Erfahrung, um zu begreifen, für wen die Regierung den Boden beschützte: für die Frontsoldaten oder für die Gutsbesitzer.
Zwischen Petrograd und der aktiven Armee stand die Provinz. Ihr Widerhall auf die Juliereignisse kann an sich als wichtiges nachträgliches Kriterium dienen bei der Entscheidung über die Frage, ob die Bolschewiki im Juli richtig handelten, als sie dem unmittelbaren Kampf um die Macht auswichen. Schon in Moskau pulsierte die Revolution unvergleichlich schwächer als in Petrograd. In der Sitzung des Moskauer Komitees der Bolschewiki fanden stürmische Debatten statt: einzelne zum äußersten linken Flügel gehörende Personen, wie zum Beispiel Bubnow, schlugen vor, Post, Telegraph, Telephonamt und die Redaktion des Russkoje Slowo zu besetzen, das heißt den Weg des Aufstandes zu betreten. Das seinem gesamten Geiste nach sehr gemäßigte Komitee wehrte diese Vorschläge entschieden ab, mit der Begründung, die Moskauer Massen seien zu
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