Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
die radikalsten Stimmungen der Armee, hetzten Soldaten gegen Offiziere auf, schrien am lautesten gegen Disziplin und Offensive und gaben sich nicht selten direkt für Bolschewiki aus. Indem sie die natürlichen Verbindungen von Komplicen zueinander unterhielten, bildeten sie einen eigenartigen Orden der Feigheit und Niedertracht. Durch sie drangen in die Truppen und verbreiteten sich schnell die phantastischsten Gerüchte, in denen Ultrarevolutionarismus sich mit Schwarzhunderttum vermengte. In kritischen Stunden gaben diese Subjekte als erste Paniksignale. Auf die zersetzende Arbeit der Polizisten und Gendarmen verwies die Presse mehr als einmal. Nicht weniger häufig sind solcher Art Hinweise in den Geheimdokumenten der Armee selbst. Doch das höhere Kommando verharrte in Schweigen und zog es vor, die SchwarzhundertProvokateure mit den Bolschewiki zu identifizieren. Jetzt, nach dem Zusammenbruch der Offensive, wurde dieser Kniff legalisiert, und die Zeitung der Menschewiki war besorgt, hinter den schmutzigsten chauvinistischen Blättchen zurückzubleiben. Mit dem Geschrei über "Anarcho-Bolschewiki", deutsche Agenten, ehemalige Gendarmen übertönten die Patrioten eine Weile nicht ohne Erfolg die Frage nach dem Gesamtzustand der Armee und der Friedenspolitik. "Unser tiefer Durchbruch an Lenins Front", prahlte Fürst Lwow offen, "hat meiner festen Überzeugung nach unermeßlich größere Bedeutung für Rußland als der Durchbruch der Deutschen an der Südwestfront ... " Das ehrwürdige Regierungsoberhaupt ähnelte dem Kammerherrn Rodsjanko in dem Sinne, daß er nicht zu unterscheiden wußte, wann es zu schweigen hieß.
Wäre es am 3. bis 4. Juli gelungen, die Massen von der Demonstration zurückzuhalten, die Aktion wäre unvermeidlich als Folge des Tarnopoler Durchbruchs gekommen. Die Frist von nur wenigen Tagen hätte indes wichtige Änderungen in die politische Lage gebracht. Die Bewegung würde sogleich größeren Schwung angenommen und nicht nur die Provinz, sondern auch in bedeutendem Maße die Front erfaßt haben. Die Regierung wäre politisch entblößt und es wäre für sie viel schwieriger gewesen, die Schuld auf die "Verräter" im Mutterlande abzuschieben. Die Lage der bolschewistischen Partei würde in jeder Hinsicht vorteilhafter gewesen sein. Aber auch in diesem Falle hätte es sich nicht um die unmittelbare Machteroberung handeln können. Mit Sicherheit läßt sich nur das eine behaupten: wäre die Bewegung eine Woche später entbrannt, die Reaktion hätte sich im Juli nicht so siegreich zu entfalten vermocht. Gerade die "rätselhafte Konsequenz" der Fristen von Demonstration und Durchbruch wandte sich völlig gegen die Bolschewiki. Die Welle der Empörung und Verzweiflung, die von der Front heranrollte, stieß auf die Welle der zertrümmerten Hoffnungen, die aus Petrograd kam. Die Lehre, die die Massen in der Hauptstadt erhalten hatten, war zu hart, als daß man sofort an eine Wiederaufnahme des Kampfes hätte denken können. Indessen suchte das durch die sinnlose Niederlage hervorgerufene heftige Gefühl nach einem Ausweg. Und den Patrioten gelang es bis zu einem gewissen Grade, diese Stimmung gegen die Bolschewiki zu lenken.
Im April, Juni und Juli waren die wichtigsten handelnden Figuren die gleichen: Liberale, Versöhnler, Bolschewiki. Die Massen suchten auf all diesen Etappen die Bourgeoisie von der Macht zu verdrängen. Aber der Unterschied in den politischen Folgen der Einmischung der Massen in die Ereignisse war ungeheuer. Das Resultat der "Apriltage" ergab einen Verlust für die Bourgeoisie: Die annexionistische Politik wurde, mindestens in Worten, verurteilt, die Kadettenpartei gedemütigt, das Portefeuille des Auswärtigen ihr abgenommen. Im Juni blieb die Bewegung unentschieden: man holte gegen die Bolschewiki aus, schlug jedoch nicht zu. Im Juli wurde die Partei der Bolschewiki des Verrats beschuldigt, niedergeschlagen, des Feuers und des Wassers beraubt. Flog im April Miljukow aus der Regierung, ging im Juli Lenin in die Illegalität.
Was bestimmte einen so schroffen Umschwung im Verlauf von zehn Wochen? Es ist ganz offensichtlich, daß in den regierenden Kreisen eine ernste Verschiebung in die Richtung zur liberalen Bourgeoisie vor sich gegangen war. Indes hatte sich gerade in dieser Periode, April-Juli, die Stimmung der Massen schroff zugunsten der Bolschewiki gewandelt. Diese zwei widerstrebenden Prozesse entwickelten sich in engster Abhängigkeit voneinander. je mehr sich die
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