Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
als in der Theorie Miljukow-Struve, denn Potsdam fuhr bis zum Schluß fort, auf einen Separatfrieden mit Zarskoje Selo zu hoffen, während man in England am meisten diesen Separatfrieden fürchtete. Erst als sich die Unmöglichkeit der Wiedereinsetzung des Zaren restlos offenbart hatte, setzte der deutsche Stab seine Hoffnungen auf die zersetzende Kraft des revolutionären Prozesses. Aber selbst in der Frage der Reise Lenins durch Deutschland ging die Initiative nicht von deutschen Kreisen aus, sondern von Lenin selbst und in ihrer ursprünglichen Form von dem Menschewiken Martow. Der deutsche Generalstab kam dem nur entgegen, vermutlich nicht ohne Schwanken. Ludendorff sagte sich: vielleicht kommt eine Erleichterung von dieser Seite.
Während der Juliereignisse suchten sogar die Bolschewiki hinter den einzelnen unerwarteten und mit klarem Vorbedacht ausgelösten Exzessen die Arbeit einer fremden und verbrecherischen Hand. Trotzki schrieb in jenen Tagen: "Welche Rolle hat dabei die konterrevolutionäre Provokation oder die deutsche Agentur gespielt? Es ist schwer, jetzt etwas Bestimmtes darüber zu sagen ... Es bleibt nur übrig, die Ergebnisse einer ernsthaften Untersuchung abzuwarten ... Aber schon jetzt läßt sich mit Sicherheit aussprechen: die Resultate einer solchen Untersuchung könnten ein grelles Licht werfen auf die Arbeit der Schwarzhundertbanden und auf die unterirdische Rolle deutschen, englischen oder echt russischen Goldes oder schließlich des einen, des andern und des dritten zusammen; doch den politischen Sinn der Ereignisse könnte keine gerichtliche Untersuchung ändern. Die Arbeiter- und Soldatenmassen Petrograds waren nicht bestochen und konnten nicht bestochen sein. Sie stehen weder bei Wilhelm noch bei Buchanan noch bei Miljukow im Dienste ... Die Bewegung war vorbereitet worden durch Krieg, Kopflosigkeit der Regierung, abenteuerliche Offensive, politisches Mißtrauen und revolutionäre Unruhe der Arbeiter und Soldaten ..." Alle nach dem Krieg und den zwei Umwälzungen bekanntgewordenen Archivmaterialien, Dokumente, Memoiren beweisen unzweifelhaft, daß die Beteiligung der deutschen Agentur an den revolutionären Prozessen in Rußland sich nicht für eine Stunde aus der militärpolizeilichen Sphäre in das Gebiet der großen Politik erhob. Ist es übrigens noch notwendig, nach der Revolution in Deutschland auf dieser Behauptung zu beharren? Wie kläglich und ohnmächtig erwies sich diese angeblich allmächtige hohenzollernsche Spionageagentur im Herbst 1918 vor dem Angesicht der deutschen Arbeiter und Soldaten! "Die Berechnung unserer Feinde, die Lenin nach Rußland geschickt hatten, erwies sich als vollkommen richtig", sagt Miljukow. Ganz anders schätzt die Ergebnisse des Unternehmens Ludendorff selbst ein: "Ich konnte das damals nicht für möglich halten", rechtfertigt er sich, von der russischen Revolution sprechend, "daß sie später auch unsere Kraft untergraben würde." Das will nur sagen, daß von den zwei Strategen: Ludendorff, der Lenin die Durchreise erlaubte, und Lenin, der diese Erlaubnis annahm, Lenin besser und weiter gesehen hat.
"Die feindliche Propaganda und der Bolschewismus", klagt Ludendorff in seinen Kriegserinnerungen, "verfolgten auf deutschem Boden die gleichen Ziele. England gab China das Opium, die Feinde uns die Revolution ..." Ludendorff sagt der Entente dasselbe nach, dessen Miljukow und Kerenski Deutschland beschuldigten. So grausam rächt sich der geachtete historische Sinn! Aber Ludendorff blieb dabei nicht stehen. Im Februar 1931 gab er der Welt kund, daß hinter dem Rücken der Bolschewiki das internationale, besonders jüdische Finanzkapital stand, geeint durch den Kampf gegen das zaristische Rußland und das imperialistische Deutschland. "Trotzki war von Amerika über Schweden nach Petersburg gelangt, mit reichen Geldmitteln der Weltkapitalisten ausgestattet. Anderes Geld war vom Juden Solmssen aus Deutschland den Bolschewiken zugeflossen." (Ludendorffs Volkswarte, 15. Februar 1931.) So sehr die Aussagen Ludendorffs und Jermolenkos auseinandergehen, in einem Punkte decken sie sich indes: ein Teil des Geldes floß, wie sich herausstellt, doch aus Deutschland, zwar nicht von Ludendorff, sondern von dessen Todfeind Solmssen. Nur dieses Zeugnis hatte noch gefehlt, um der ganzen Frage eine ästhetische Vollendung zu verleihen.
Doch weder Ludendorff noch Miljukow noch Kerenski haben das Pulver erfunden, wenn auch der erstere eine weitgehende Anwendung von
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