Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
ihm gemacht hat. "Solmssen" hatte viele Vorläufer in der Geschichte, sowohl als Jude wie als deutscher Agent. Graf Fersen, schwedischer Gesandter in Frankreich während der Großen Revolution, ein leidenschaftlicher Anhänger der Königsmacht, des Königs und besonders der Königin, hat mehr als einmal seiner Regierung nach Stockholm Berichte folgender Art erstattet: "Der Jude Efraim, der Emissär des Herrn Herzberg aus Berlin (des preußischen Ministers des Auswärtigen), liefert ihnen (den Jakobinern) Geld; vor kurzem hat er wieder sechshunderttausend Pfund bekommen." Die gemäßigte Zeitung Pariser Revolutionen sprach die Vermutung aus, daß während der Republik-Umwälzung "Emissäre der europäischen Diplomatie, zum Beispiel in der Art des Juden Efraim, eines Agenten des preußischen Königs, in die bewegte und wandelbare Menge eindrangen ..." Der gleiche Fersen meldete: "Die Jakobiner ... würden zugrunde gehen ohne die Hilfe des von ihnen bestochenen Pöbels." Wenn die Bolschewiki den Teilnehmern der Demonstrationen Taglohn zahlten, folgten sie nur dem Beispiel der Jakobiner, wobei das Geld für die Bestechung des "Pöbels" in beiden Fällen Berliner Quellen entstammte. Die Übereinstimmung der Handlungsweise der Revolutionäre des XX. und des XVIII. Jahrhunderts müßte verblüffen, wenn sie nicht durch die noch verblüffendere Identität der Verleumdung seitens ihrer Feinde verdeckt wäre. Doch man braucht sich nicht mit den Jakobinern zu begnügen. Die Geschichte aller Revolutionen und Bürgerkriege zeigt unveränderlich, daß die bedrohte oder gestürzte Klasse dazu neigt, den Grund ihres Mißgeschickes nicht bei sich, sondern bei ausländischen Agenten und Emissären zu suchen. Nicht nur Miljukow in seiner Eigenschaft als gelehrter Historiker, sondern auch Kerenski in seiner Eigenschaft als oberflächlicher Leser hätten das wissen müssen. Jedoch in ihrer Eigenschaft als Politiker wurden beide Opfer der eigenen konterrevolutionären Funktion.
Den Theorien von der revolutionären Rolle ausländischer Agenten wie überhaupt allen typischen und MassenVerirrungen liegt jedoch ein indirektes historisches Fundament zugrunde. Bewußt oder unbewußt macht jedes Volk in kritischen Perioden seines Daseins besonders große und kühne Anleihen in den Schatzkammern der anderen Völker. Nicht selten spielen überdies die führende Rolle in der Fortschrittbewegung Personen, die im Ausland gelebt haben, oder in die Heimat zurückgekehrte Emigranten. Neue Ideen und Institutionen erscheinen deshalb den konservativen Schichten vor allem als fremdartige, als ausländische Produkte. Dorf gegen Stadt, Provinznest gegen Metropole, Kleinbürger gegen Arbeiter verteidigen sich als nationale Kräfte gegen ausländische Einflüsse. Die Bewegung der Bolschewi-ki erschien Miljukow als "deutsche" letzten Endes aus denselben Gründen, aus denen der russische Muschik jahrhundertelang jeden städtisch gekleideten Menschen für einen Deutschen hielt. Nur mit dem Unterschiede, daß der Muschik dabei rechtschaffen blieb.
Im Jahre 1918, also bereits nach der Oktoberumwälzung, veröffentlichte das Pressebüro der amerikanischen Regierung feierlich eine Sammlung von Dokumenten über die Verbindung der Bolschewiki mit den Deutschen. Dieser plumpen Falsifikation, die nicht einmal dem Hauche einer Kritik widerstand, glaubten viele gebildete und scharfsichtige Menschen, solange nicht nachgewiesen wurde, daß die angeblich aus verschiedenen Ländern stammenden Originale der Dokumente sämtlich auf ein und derselben Schreibmaschine angefertigt worden waren. Die Fälscher machten mit den Konsumenten keine Umstände: sie waren offenbar sicher, daß der politische Bedarf an Enthüllungen über die Bol-schewiki sich als stärker erweisen würde als die Stimme der Kritik. Und sie gingen nicht fehl, denn sie wurden für die Dokumente gut bezahlt. Indes war die amerikanische Regierung, vom Kampfschauplatz durch einen Ozean getrennt, erst in zweiter und dritter Linie an den Ereignissen interessiert.
Aber weshalb ist die politische Verleumdung denn doch so dürftig und eintönig? Deshalb, weil die Gesellschaftspsyche sparsam und konservativ ist. Sie verausgabt nicht mehr Kraft, als für ihre Zwecke unbedingt erforderlich ist. Sie zieht vor, Altes zu entlehnen, sobald sie nicht gezwungen ist, Neues zu bauen, aber auch in diesem Falle kombiniert sie die Elemente des Alten. jede nachfolgende Religion pflegte ihre Mythologie nicht neu zu schaffen, sondern
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