Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
und so nahe an den Vereinigten Staaten zu entwickeln. Freilich begann diese Entwicklung unter gänzlich anderen Voraussetzungen: nach drei Jahrhunderten als Kolonie einer katholischen Monarchie mit einer mächtigen Kirche und zentralisierten Klostersiedlungen; mit einer Indio-Bevölkerung, die sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts demographisch erholte; und mit Weißen, die stolz auf ihre spanische Abstammung waren, auch wenn viele von ihnen Mischehen schlossen und für eine große Population an «Mestizen» sorgten. Die Unabhängigkeitsbewegung wurde von einer radikalisierten klerikalen Führung 1810 entfacht, aber schon bald von den Spaniern niedergeschlagen. Ein Jahrzehnt später wurde sie von ambitionierten Offizieren neu belebt: Einige beriefen sich auf die Traditionen einer populistischen und dezentralisierenden Linken, während sich andere an den zentralisierenden und kurzzeitig (unter Agustín de Itúrbide) imperialen Ansprüchen der Rechten orientierten. Itúrbide, der den spanischen Truppen 1810 dabei geholfen hatte, die Revolutionäre zu besiegen, führte die neue Rebellion an, als in Madrid 1820 die Liberalen an die Macht kamen, und ließ sich 1822 zum Kaiser von Mexiko krönen, ehe er ins Exil getrieben und schließlich hingerichtet wurde. Doch die anhaltenden Turbulenzen und kriegerischen Auseinandersetzungen nagten am Wohlstand, der am Ende der Ära bourbonischer Reformen geherrscht hatte. Katholische Konservative und liberale Antiklerikale wechselten sich an der Macht ab, da der zynische und populistische starke Mann des Militärs, Antonio López Santa Ana, wiederholt die Seiten wechselte, das Präsidentenamt für sich beanspruchte oder Kandidaten durchsetzte, die er zu kontrollieren hoffte.[ 83 ]
Als der starke Mann, der 1836 für eine pro-katholische konservative Diktatur verantwortlich war, konnte der General die Abspaltung von Texas nicht verhindern, dafür gelang es ihm, 1838 ein französisches Expeditionsheer vor Veracruz zurückzuschlagen, was kurzzeitig seinen Ruhm wieder erstrahlen ließ. Ab 1841 stand er erneut an der Spitze eines geschwächten Landes, das noch immer riesige Gebiete im Südwesten Amerikas für sich beanspruchte, allerdings die anglophonen texanischen Siedler und die gefürchteten Komantschen-Stämme in der Grenzregion lediglich nominell kontrollierte. Deren verheerende Raubzüge, die der Sicherung des Lebensunterhalts ebenso dienten wie Rachegelüsten, machten deutlich, wie fragil die Macht des mexikanischen Staates auf seinem nördlichen Territorium war. Dazu gehörte auch das umstrittene Gebiet im heutigen Süden von Texas, für das ambitionierte texanische und amerikanische Nationalisten – angeführt von Präsident James K. Polk – weitreichende Grenzansprüche erhoben. Als Santa Ana 1846 darüber einen Krieg vom Zaun brach, scheiterte er kläglich, und die Republik Mexiko musste große Gebiete an Washington abtreten.
Dieser Krieg an den Rändern der besiedelten Welt hatte in beiden Republiken grundlegende Auswirkungen: In den USA untergrub er den Missouri-Kompromiss von 1820 über die Ausweitung der Sklaverei; in Mexiko machte er, nach einem weiteren konservativen Staatsstreich von Santa Ana, den Weg frei für die Revolution von Ayutla und die große liberale, antiklerikale Bewegung unter Benito Juárez in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre. Die Verfassung von 1857 sah einen liberalen und säkularen Staat mit konstitutionellen Freiheiten und der Zivilehe vor. Die Ley Lerdo von 1856 setzte eine rigorose Säkularisierung von Kirchengütern durch, aber auch die Abschaffung allen Gemeineigentums, darunter auch der Gewohnheitsrechte ( fueros ) und der Kollektivgüter ( ejidos ), die noch in vielen Kommunen auf dem Land und unter den Indios vorherrschten. Tatsächlich führten die Mexikaner die letzte der Revolutionen des 18. Jahrhunderts durch, die das Land tief spaltete und einen dreijährigen Bürgerkrieg auslöste, den sogenannten Reformkrieg, dem wiederum eine französische Intervention folgte. Napoleon III. glaubte, er könne aus den Wirren (und dem großen inneren Konflikt der USA in den 1860er Jahren) Nutzen ziehen, und versuchte, unter einem habsburgischen Erzherzog, Maximilian von Österreich, ein Kaiserreich zu errichten. Dieser Maximilian fand nachhaltige Unterstützung bei denen, die Juárez’ Reformen ablehnend gegenüberstanden, doch die Regierung Juárez fing sich wieder, und nach der Schlacht von Puebla zogen sich die Franzosen zurück; ihr
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