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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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wohlmeinendes Geschöpf, das sie zurückließen, wurde besiegt und hingerichtet. Die liberale Regierung machte der Bedrohung durch eine Militärdiktatur ein Ende, allerdings nicht dem regelmäßig wiederkehrenden warlordism , der das Land von Zeit zu Zeit erfasste.
    Eine liberale Regierung bedeutete, selbst wenn ein Indio an ihrer Spitze stand, allzu oft Unverständnis, nicht für das beinahe mystische präkolumbianische Erbe, sondern für die Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft, für die sich viele noch immer entschieden. Die Auswirkungen waren sogar im südöstlichsten Zipfel des Landes zu spüren, auf der Halbinsel Yucatán. Die dortigen ladinos (darunter auch Kreolen und Mestizen, aber keine Indios) hatten sich nach den Wirren Ende der 1830er Jahre von der Republik abzuspalten versucht, mussten sich jedoch Anfang der 1840er Jahre arrangieren. Nur die Hafenstadt Campeche (die gegenüber amerikanischen Kanonenbooten verwundbar war) strebte weiter nach Unabhängigkeit, worauf ein erneuter sezessionistischer Aufstand im Landesinneren folgte. Im Januar 1847 starteten die Indios, die durch den Angriff des Staates auf die Gewohnheitsrechte (darunter auch Wasserrechte) ökonomisch schwer zu leiden hatten, eine Rebellion, die schon bald in den schrecklichsten Bildern von Rassenkrieg und Kannibalismus dargestellt wurde. Das Yucatán der ladinos schien 1849/50 an die Indios verloren, doch Santa Ana rang die Maya-Rebellen 1855 nieder. Die Liberalen, die den General von der Macht vertrieben, wollten die Vorstellungen der indigenen Bevölkerung von Regierung und Gemeineigentum ebenso wenig dulden und schlugen eine neuerliche Revolte nieder; einige der besiegten Aufständischen wurden sogar als Sklaven nach Kuba verkauft. Jenseits der ladino -Städte schwelte die Rebellion weiter und manifestierte sich für den Rest des Jahrhunderts in einem eigenen Quasi-Staat, der den Namen Chan Santa Cruz trug, «Kleines heiliges Kreuz».[ 84 ] Auf eine gleichgültige Regierung folgte die straffe Kontrolle des 1876 gewählten Präsidenten Porfirio Díaz, der die Opposition unterdrückte und eine Gruppe von científicos , Unternehmern und Industriellen, um sich versammelte, die in Kooperation mit amerikanischen und britischen Investoren den Grundstock für ein modernes Eisenbahnsystem legten.
    Díaz sollte fast 35 Jahre lang regieren, ehe eine neue Generation sein autokratisches Regime stürzte. In dieser Zeit machte Mexiko industrielle Fortschritte, allerdings mit Unternehmen, in denen ausländisches Kapital tonangebend war. Das Land sollte zwar arm bleiben (im Vergleich zum späten 18. Jahrhundert hatte es ökonomisch sogar Rückschritte zu verzeichnen), aber weniger arm, katholisch, aber institutionell säkular; und theoretisch erkannte es sein indigenes Erbe zwar an, doch dessen aktueller Zustand war ihm gleichgültig. Die Elemente, die sich in seiner Geschichte miteinander verwoben – nationale Einigungskriege; nüchterne Führungspersönlichkeiten, welche die Politik und gleichzeitig die Kapitalflüsse, die neuen Eisenbahnen und die Industrie beherrschten; eine fortbestehende Volksfrömmigkeit in den Dörfern bei gleichzeitiger Säkularisierung von Kirchenbesitz; eine Reform des Bildungssystems, um es aus den Fängen der Kirche zu befreien; ein freier Markt für Grundbesitz, der alle verbliebenen Gewohnheitsrechte der indigenen Bevölkerung untergrub; die Eisenbahn als Mittel, um ein riesiges, wenn auch weitgehend unfruchtbares Territorium zusammenzuhalten –, waren tatsächlich die Ingredienzien, die den Staat Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts veränderten. Doch wie andere lateinamerikanische Staaten musste sich auch Mexiko auf britisches und später amerikanisches Kapital stützen, und die Elite des Landes war in ideologischen Grundsatzfragen tief gespalten.
    Weiter südlich war der Traum von einer geeinten Südamerikanischen Republik im Zuge der von Simón Bolívar und José de San Martín angezettelten Unabhängigkeitskriege geplatzt. Doch all die spanischsprachigen Länder verfügten weiterhin über schlagkräftige Armeen, unterentwickelte nationale oder lokale Parlamente und eine Tradition starker Männer aus den Reihen des Militärs und mächtiger Großgrundbesitzer. Die Epoche des Unabhängigkeitskampfs spaltete die nachfolgenden Eliten zudem häufig in Konservative, die relativ starke «zentralistische» Institutionen mit Respekt gegenüber der Kirche beibehalten wollten, und «Föderalisten», die sich selbst als

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