Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
den 1870er und 1880er Jahren mit der Vollendung der Canadian Pacific Railway. Kanada schaffte es, Bürgerkrieg und Sezession zu vermeiden. Die Geschichte seiner Eisenbahnen und seiner politischen Föderation war eine Generation lang eng miteinander verflochten. Nach den Aufständen 1837/38 gegen die britische Kolonialverwaltung im französischsprachigen Niederkanada und gegen die anglophone Tory-Oligarchie in Oberkanada empfahl die britische Gesandtschaft unter Lord Durham die Selbstverwaltung und den Zusammenschluss der beiden Provinzen zu einer gemeinsamen Provinz Kanada. Die enormen Kosten für den Bau der Grand Trunk Railway, welche die Waren vom Sankt-Lorenz-Strom mit den amerikanischen Seehäfen verbinden sollte, sowie die Aussetzung der Zollfreiheit für kanadische Produkte durch die USA sorgten für große finanzielle Belastungen und verschärften die Spannungen zwischen den Sprachgemeinschaften. Aus einer Reihe von Konferenzen und Verhandlungen Mitte der 1860er Jahre ging der British North America Act hervor, mit dem das selbstverwaltete Dominion of Canada unter der britischen Krone geschaffen wurde. Es umfasste eine neue Föderation, welche die alten Provinzen Ober- und Niederkanada wieder voneinander trennte, die am Meer gelegenen Provinzen eingliederte und die Grundlage für die Anbindung der Gebiete im Westen bildete. Die anglophone Bevölkerung sah für sich die Hoffnung auf nationale Dominanz; die Frankophonen sicherten sich die Kontrolle über eine Provinz, zu der auch die Städte Montreal und Québec gehörten. Zentraler Bestandteil der nationalen Vision war der Bau einer neuen Eisenbahnverbindung zwischen Ost und West. Ohne eine landesweite Eisenbahnlinie würden sich alle Provinzen, darunter auch die neuen Weizenanbaugebiete oberhalb der Großen Seen in Saskatchewan, wirtschaftlich möglicherweise mit den US-Bundesstaaten im Süden zusammentun. Die 1886 fertiggestellte Canadian Pacific Railway sorgte dafür, dass sich verschiedene Regionen und Immigrantengruppen miteinander verbanden und eine transkontinentale Identität ausbildeten, die zwar mitunter fragil, aber doch von Dauer war.
Es ist ausgesprochen lehrreich, sich die möglichen Alternativen auszumalen. Wenn beispielsweise Robert E. Lee im Juli 1863 bei Gettysburg gesiegt hätte, dann Richtung New York marschiert wäre, den Norden entmutigt und es einer friedensorientierten Demokratischen Partei ermöglicht hätte, bei den Präsidentschaftswahlen den Sieg zu erkämpfen und einen Friedensvertrag auszuhandeln, der mindestens eine De-facto-Autonomie innerhalb regional dezentralisierter Vereinigter Staaten erlaubt hätte (die dann nur noch nominell «vereinigt» gewesen wären). Ein sezessionistischer Konföderiertenstaat hätte von seiner Gesellschaftsstruktur her weit mehr Ähnlichkeit mit Brasilien oder Jamaika gehabt. Faktisch wäre er Teil einer karibischen geopolitischen Einheit gewesen, deren Basis noch einige Jahrzehnte länger Plantagenwirtschaft und Sklavenarbeit gewesen wären. Die Gebiete im Südwesten, die zwei Jahrzehnte zuvor von Mexiko «übernommen» worden waren, wären von dieser Sklavenrepublik im Süden abhängig geblieben, und Kalifornien wäre am Ende vielleicht geteilt worden in den einstmals spanischen Süden und den stärker Richtung Pazifik orientierten Norden.
Sind solche Gedankenspiele an den Haaren herbeigezogen? Das hängt davon ab, ob wir glauben, alle «Was wäre gewesen wenn»-Überlegungen seien allein schon deshalb zu weit hergeholt, weil sie nie eingetreten sind. Einige Historiker, darunter auch der Verfasser dieser Zeilen, zeigen größere Bereitschaft, sozusagen im hypothetischen oder konjunktivischen Modus zu leben, so wie manche Komponisten sich von Moll genauso angezogen fühlen wie von Dur. Entscheidend ist, dass die politischen und gesellschaftlichen Einheiten, die globale Institutionen prägten, tatsächlich auf spezifischen Ergebnissen beruhten, die durch eine entscheidende Folge von Ereignissen zustande kamen. In einem berühmten Gedicht von Robert Frost heißt es, der nicht eingeschlagene Weg mache den ganzen Unterschied aus: «The road not taken […] has made all the difference.» Zwischen 1850 und 1880 wurden Alternativrouten nach und nach stillgelegt und verbaut, und zwar aufgrund des Vordringens evolutionärer Vorstellungen, des auf Eisen, Stahl und Kohle basierenden technischen Fortschritts, der entstehenden Gesellschaftsgruppen, die zusammen mit diesen Neuerungen größer wurden, sowie der
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