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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Liberale betrachteten und eine Dezentralisierung sowie den Zugang zu britischem Kapital befürworteten. Tatsächlich froren die lateinamerikanischen Republiken bis weit ins 19. Jahrhundert hinein quasi die Konfrontation ein, die Ende der 1790er Jahre für kurze Zeit die amerikanischen «Federalists» und Jeffersons Democratic Republicans gespalten hatte – allerdings mit dem irritierenden Unterschied, dass in Südamerika der Begriff «Föderalist» die dezentralisierte Option bezeichnete, die Jefferson und Madison um 1800 verteidigt hatten. Kein lateinamerikanischer Staatsmann hätte sagen können, was Jefferson mit Blick auf Republikaner und Federalists gesagt hatte: Wir sind alle Republikaner, wir sind alle Föderalisten.
    In Argentinien hatte der Diktator Juan Manuel de Rosas die Rückendeckung der unabhängigen Rinderzüchter der Pampa gesucht, des riesigen Weidelandes um Buenos Aires herum, um die Liberalen in der Hafenstadt einzuschüchtern, die ihre Führungsrolle in der Republik und ihre Geschäftsbeziehungen zu den Briten beibehalten wollten. Rosas – nominell ein Föderalist – und seine Anhänger in den Provinzen errichteten in den 1830er und 1840er Jahren eine Diktatur, die zunehmend auf Gewalt und terroristische Beseitigung ihrer Gegner setzte und erst 1852 ein Ende fand. Ähnlich wie Andrew Jackson im Norden erwarb sich Rosas seinen Ruf dadurch, dass er die Ureinwohner bekämpfte. Doch anders als der US-Präsident musste er sich niemals mit den Truppen ehemaliger Kolonialmächte herumschlagen. Ebenso wenig musste er sich mit einer demokratischen Volksbewegung arrangieren, wie das Jackson tat. Schließlich entfremdete er sich sogar von seinen eigenen Anhängern unter den Ranchern, die von seiner Erlaubnis eines Kleindespotentums auf dem Land, von den Kosten seiner Kriege und von den Konflikten mit Frankreich und Großbritannien um die Kontrolle des Handels auf dem Rio Plata profitiert hatten. Der Sieg der «porteños» – also der in Buenos Aires lebenden, britisch orientierten liberalen Elite – unter Barolomé Mitre, Domingo Sarmiento und Nicolás Avellaneda in den 1860er und 1870er Jahren bedeutete den Triumph liberaler Prinzipien, britischer Investitionen, des Eisenbahnbaus sowie ein Aufblühen des Agrarexports und in der Folge die massenhafte Zuwanderung von Arbeitskräften aus Südeuropa. Es folgte eine Generation lang eine geradlinige Entwicklung des Staates, doch Argentinien blieb ein Gemeinwesen, in dem ein reaktionäres Militär- und Caudillo-Erbe auch weiterhin eine ideologische Alternative darstellte. Auch in Kolumbien bildete ein Konflikt zwischen Militär und Liberalen das Muster für jahrzehntelange innere Unruhen. Armeeoffiziere und Kirchenvertreter, welche die Herrschaftsinstitutionen der Spanier beibehalten wollten, bezeichneten sich selbst als zentralistisch; die Liberalen hingegen sprachen sich für Bundesstaaten und Rechte der Provinzen aus. Die Politik wechselte zwischen beiden Positionen hin und her.
    Weniger scharf ausgeprägt waren die ökonomischen und ideologischen Konflikte in Brasilien. Das Vermächtnis des portugiesischen Hofes, die Tatsache, dass die Erben aus dem Haus Braganza von 1822 bis 1889 den Kaiserthron besetzten, sowie die Einheit, die man brauchte, um auch weiterhin eine Sklavenpopulation zu haben, trugen zur Herausbildung einer kohärenten Oligarchie bei. Nicht minder wichtig waren der Kaffee-Boom sowie die gemeinsame geistige Prägung vieler, die im Bereich des Zivilrechts und dann als Staatsbeamte tätig waren – ganz im Gegensatz zu den theologischen und antiklerikalen Konflikten, die andere Länder im katholischen Amerika geerbt hatten. Der Staat bildete ein einheitliches Ganzes, obwohl sein Projekt weiterhin lediglich die Verwaltung und nicht die Entwicklung des Landes war. Die Bestrebungen der Liberalen zur Abschaffung der Sklaverei in den 1870er Jahren riefen den konservativen Widerstand in den Kaffeeprovinzen des Südens auf den Plan, doch zu den Liberalen gehörten auch Zuckerproduzenten im Nordosten, und so kam es zu keinem größeren Aufeinanderprallen ökonomischer Interessen, das in dem einen oder anderen Sektor zu politischem Extremismus oder zu Hoffnungen auf den grand state hätte führen können. Die Elite der Großgrundbesitzer ernährte die staatliche Bürokratie.[ 85 ]
    Die USA stellten ihre erste Eisenbahnlinie von Ost nach West vier Jahre nach Ende des Bürgerkriegs fertig. In Kanada folgte die entsprechende epochale Errungenschaft in

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