Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
rasanten Industrialisierung und in Militärreformen, und zwar in Folge von zivilem Zwist und Krieg Mitte des 19. Jahrhunderts. Während in der ersten, oben skizzierten Kategorie Beamte darum bemüht waren, eine unterentwickelte Zivilgesellschaft und eine geringe Demokratisierung auf nationaler Ebene zu kompensieren, versuchten sie in dieser zweiten Gruppe, den politischen Stillstand zu überwinden, der daraus resultierte, dass die Regime zwar bereits demokratisch, in Grundsatzfragen aber zutiefst zerstritten waren. Natürlich wies auch diese zweite Kategorie in der Realität zahlreiche Formen der Transformation auf. In Frankreich akzeptierte die Bevölkerung die Degradierung der Nationalversammlung durch Louis Napoleon (schon bald darauf als Napoleon III. zum Kaiser gekrönt), der fast zwei Jahrzehnte lang die wirtschaftliche Entwicklung vorantrieb und ambitionierte Auslandsinterventionen unternahm, die ihn schließlich zu Fall brachten. In Mexiko erwuchs, unterstützt von den nationalen Eliten (und ausländischen Investoren), aus den Konflikten der Jahrhundertmitte um Reformen und der darauffolgenden Invasion ebenfalls ein Entwicklungsdiktator. In den USA setzte die republikanische Partei ein Ende der Sklaverei durch, öffnete den Westen des Landes für die Siedler und förderte die industrielle Entwicklung von Ende der 1850er bis in die 1890er Jahre.
Dieser Weg der kontrollierten Transformation war auch für Regime geeignet, die der Bürgerbeteiligung mittels Wahlen bereits breiten Raum gewährten. In den USA resultierten die Veränderungen aus der Herausforderung des Krieges, der wiederum aus den tiefgreifenden Konflikten darüber erwuchs, welches Arbeits- und Wirtschaftssystem in den riesigen Gebieten vorherrschen sollte, die zur Zeit des Amerikanisch-mexikanischen Krieges akquiriert wurden. Die Gründerväter der amerikanischen Republik hatten in der Sklavereifrage einen Kompromiss gefunden, als sie Ende der 1780er Jahre die Verfassung ausarbeiteten. Sie hatten sich darauf verständigt, dass die Institution der Sklaverei fortbestehen solle – andernfalls hätte es keine Vereinigten Staaten gegeben –, die Einfuhr von Sklaven aber nach zwanzig Jahren verboten werden sollte. Dieses Verbot trug dazu bei, dass die «Aufzucht» von Sklaven für den Einsatz in den neueren Staaten am Golf von Mexiko zu einem lukrativen Geschäftszweig wurde. Wie aber sollte die Sache in den Gebieten geregelt sein, die sich westlich des Mississippi eröffneten? Die Bemühungen um einen tragfähigen Kompromiss, der die Einführung der Sklaverei in Missouri erlaubt hätte, sonst aber nördlich des Grades 36°30’ nördlicher Breite (der Südgrenze Missouris) keine weitere Sklaverei mehr gestatten wollte, scheiterten 1820.
Die Farmer und Arbeiter im Norden konnten nicht die Ausweitung eines Systems dulden, das ihre eigene Existenzgrundlage und die nationale Zukunft gefährdete. Noch höher wurden die Einsätze, als sich der Bedarf an Rohbaumwolle in den Baumwollspinnereien in Lancashire und im Norden Amerikas vervielfachte. Die Südstaatler hatten das Gefühl, ihre spezifische Institution sei durch die neuen Parteien bedroht, die aus dem entwicklungsorientierten Whig-Bündnis der 1830er und 1840er Jahre hervorgingen, ob nun die Sklavereigegner der Demokraten oder die «conscience whigs» wie etwa Abraham Lincoln 1848 oder die Free Soilers 1852 und die Republikanische Partei 1856. Die Veteranen im Senat, Henry Clay, Daniel Webster und John C. Calhoun, hatten 1850 einen weiteren Kompromiss ausgehandelt, der die Sklaverei in Texas und im District of Columbia gestatten würde, nicht aber in Kalifornien. Die Sklavereigegner im Norden nahmen vor allem Anstoß daran, dass dieser Kompromiss die Rückkehr geflohener Sklaven und eine Belohnung für deren Rückführung vorsah.
1854 war der Meinungsstreit so hitzig, dass es auf dem Territorium von Kansas zu blutigen Auseinandersetzungen darüber kam, ob die neue Verfassung des Staates Sklaverei erlauben sollte. Der Kansas-Nebraska Act gestattete es vorgeblich dem Staat, selbst darüber zu entscheiden, doch diese Option verstieß gegen das Gesetz von 1850, und die Streitparteien gingen aufeinander los. Die Eisenbahngesellschaften, die, wie oben erwähnt, ihre Linien durch Illinois zwängten, um die Ost-West-Strecken mit denen zu verbinden, die in die neuen Vieh- und Getreideregionen des Westens jenseits des Mississippi führten, wollten, dass dieser Streit beigelegt wurde; der demokratische
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