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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Personen; die Zahl der Exekutionen lag deutlich darunter. Das soll keineswegs heißen, dass es sich um einen sanftmütigen Staat gehandelt hätte: Zehntausende wurden verhört und verschleppt, Zehntausende von «Behinderten» – so genanntes «lebensunwertes» Leben – wurden in staatlichen Krankenhäusern und Anstalten umgebracht, Zehntausende deutscher Soldaten sollten während des Krieges von der eigenen Truppe hingerichtet werden, und Millionen von Juden, nichtjüdischen Polen, Sinti und Roma, russischen Kriegs gefangenen, gefangenen sowjetischen Parteioffiziellen und anderen wurden im besetzten Europa ermordet.[ 159 ]
    Für die Bolschewiki blieben Klassenkampf und Klassenkrieg eine lebendige Doktrin; der Begriff bezog sich jedoch üblicherweise auf einen eher unpersönlichen Prozess, der sich über die Kollektivierung der Landwirtschaft von Ende der 1920er Jahre an und der Industrieproduktion in den 1930er Jahren vollzog. Als in der Ukraine nationale Gruppen Widerstand leisteten, nahm der Klassenkampf die Dimensionen eines genozidalen Hungertods an, wie Anfang der 1920er Jahre und dann wieder, noch fürchterlicher, vom Ende des Jahrzehnts bis in die 1930er Jahre hinein. Krieg im Sinne einer militärischen Auseinandersetzung prägte die sowjetische Erfahrung zwischen 1918 und 1921 im Bürgerkrieg und im Polnisch-sowjetischen Krieg sowie nach dem Einmarsch der Deutschen 1941; tatsächlich hatten Marx und Engels die nationalen Einigungskriege Mitte des 19. Jahrhunderts aufmerksam verfolgt. Doch als Dimension menschlicher Erfahrung spielte der Krieg im europäischen Marxismus-Leninismus keine zentrale ideologische Rolle. Das sollte sich mit den antikolonialen Kämpfen in Afrika und Asien nach 1945 ändern, als Kommunistenführer wie Hồ Chí Minh und General Giap oder Mao Zedong die Ansicht vertraten, die Kämpfe der Bauern und der Guerillakrieg seien von zentraler Bedeutung für den historischen Prozess der Arbeiteremanzipation.
    Eine andere ideologische Konstellation jedoch, die sich aus dem Ersten Weltkrieg ergeben hatte, stellte die Erfahrung des Kampfes im Krieg in den Mittelpunkt des persönlichen und privaten Lebens. Die Faschisten waren nicht nur der Meinung, dass der Krieg eine wichtige «Männlichkeitserfahrung» darstellte, sondern auch, dass die Politik im Grunde wie Krieg sein müsse, ja, dass sie tatsächlich eine Form von Krieg sei. Der Krieg brachte demzufolge die wesentlichen Eigenschaften zum Vorschein, die wahre Männlichkeit verlangte: Loyalität und Kameradschaft, Befehl und Gehorsam sowie Mut. Soldaten opferten sich für ihre Nation und für ihre Kameraden. Liberale Politiker seien im Ersten Weltkrieg zu Hause geblieben, vor Gefahren geschützt, und hätten in ihren nutzlosen Parlamenten geschwätzt, während die Jugend ihrer Gesellschaften auf den fernen Schlachtfeldern ihr Leben ließ. Krieg, so hatte der preußische General Carl von Clausewitz geschrieben, sei nichts weiter als Politik – gemeint war das Verfolgen einer rationalen Politik – mit anderen Mitteln. War es also falsch, Politik umgekehrt als Krieg mit anderen Mitteln zu betrachten? Wenn die Ideologien, die wir als faschistisch bezeichnen (und dazu gehört an dieser Stelle auch der Nationalsozialismus), etwas gemeinsam hatten, dann war es diese Überzeugung. Politik musste wie ein Kampf geführt werden, als Streben nach Herrschaft, nicht nur nach Legislation. Politik beruhte auf Gegensätzen und war ein hartes Geschäft, sie verlangte, nicht anders als eine militärische Organisation, Gehorsam gegenüber Partei und Führer, und bei Parteiversammlungen trug man quasi-militärische Uniformen.

    Zusammenbruch der deutschen Militärmaschinerie: Ein rasch ausgehobener Schützengraben voller toter Deutscher nach den schweren Kämpfen Ende Juli 1918, als Franzosen und Amerikaner in der zweiten Marneschlacht die Gegend um Soissons zurückeroberten. Die Franzosen verloren 1,3 Millionen Soldaten, die Deutschen 1,8 Millionen in einem Krieg, bei dem die europäische «Zivilisation» des 19. Jahrhunderts unerwartet in militärische Disziplin, massenhaftes Leid, ökonomische Verheerung und Tod mündete.
    Es entwickelten sich mehrere Varianten dieser Haltung, die sich in ihren Kernaspekten unterschieden, aber auf dieser gemeinsamen Grundüberzeugung aufbauten. Faschisten und Nationalsozialisten haben gern behauptet, sie würden abstrakte Ideen verachten, doch Intellektuelle wetteiferten darum, ihre Lehren zu entwickeln, und darunter waren

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