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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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rechtfertigen: die Schmähattacken gegen sozialdemokratische Kritiker und Konkurrenten, die Schauprozesse und Hinrichtungen der 1930er und 1950er Jahre, der Hitler-Stalin-Pakt von 1939, der tiefsitzende Hass auf die «bourgeoisen» Privilegien. Gleichwohl reicht es nicht aus, einfach nur die Fälle intellektueller und mitunter moralischer Blindheit und Erniedrigung zu bilanzieren; der Historiker muss auch erklären, inwiefern die kommunistische Berufung so vielen Anhängern so verlockend, ja zwingend erscheinen konnte. Sie schrieben ihre Entscheidung den Katastrophen zu, die der Kapitalismus ihrer Ansicht nach anhäufte, ob das Gemetzel des Ersten Weltkriegs oder die Massenarbeitslosigkeit und das Elend, angesichts derer bürgerliche Staatsmänner so wenig hoffnungsvoll wirkten. Für sie bildete einzig der Kommunismus eine realistische Alternative zur faschistischen Gewalt, der sich keine andere Partei wirksam widersetzte, zur Kolonialherrschaft, welche die westlichen Länder offenbar entschlossen fortsetzen wollten, und in den USA zum tief verwurzelten Rassismus, den keine der politischen Parteien des Mainstreams in Frage stellte.
    Die Lebenskonstrukte, die sich tatsächlich in der russischen Gesellschaft, welche die Partei verändern wollte, fanden, waren zugegebenermaßen weitaus vielfältiger und ungeordneter, ausgehandelt in einer Zeit ungeheurer ökonomischer und sozialer Veränderung, dicht gedrängt, gemeinschaftlich und anspruchsvoll, begleitet von verwirrenden Politikwechseln – sie ließen sich nicht so einfach als sauberer dialektischer Vorgang begreifen. Zu der Zeit, als Lukács diese höhere Freiheit forderte, war er sich gleichwohl bewusst, dass die leninistische Partei, welche die sowjetische KP beherrschte, diese von Zehntausenden ihrer frühen Mitglieder «gesäubert» hatte – das hieß damals: sie wurden ausgeschlossen – und alle anderen Parteiorganisationen aufgelöst hatte – das war die Schlussfolgerung, die sie aus ihrer privilegierten Einsicht in die historische Notwendigkeit gezogen hatte. Zu der Zeit, als Stalin seine persönliche Macht festigte, bedeutete «Säuberung» dann für Millionen langjährige Zwangsarbeit im Lager sowie zehntausende Hinrichtungen und massenhaftes Sterben in den Gulags. Die Historiker sind sich uneins, ob der Impuls, die Partei zu säubern, Stalins eigenem fortwährenden Misstrauen gegenüber der revolutionären Bewegung entsprang oder eine Reaktion auf Begeisterung und Ungeduld war, die sich an der Parteibasis bemerkbar machten. Auf jeden Fall galten diese erschütternden Wellen der Zerstörung und Vernichtung von Leben irgendwann als Charakteristikum des Regimes.[ 158 ]
    Die sowjetische Partei sollte nach 1917 den sowjetischen Staat schaffen und in Osteuropa von 1945 bis Ende der 1980er Jahre verbündete Parteien installieren, auch wenn deren Willfährigkeit unterschiedlich ausgeprägt war. (Jugoslawien wurde zu einer kommunistischen Diktatur, obwohl es 1948 mit dem Sowjetblock gebrochen hatte.) Parteien, welche die gleiche Disziplin einforderten, sollten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über lange Jahre China, Nordkorea, Vietnam und Kambodscha regieren und in vielen anderen Staaten nach der Machtübernahme streben. Selbst dort, wo diese Möglichkeit nur von fern vorhanden war, wie in Großbritannien und den USA, ersuchten sowjetische Parteiemissäre oftmals lokale Mitglieder, als Spione für Moskau tätig zu werden. Nicht einmal die faschistischen Parteien und die NSDAP, die ein ebenso grausames System installiert hatte, machten die Parteimitgliedschaft zu einem dermaßen zentralen Aspekt der völligen Hingabe an die Sache. Und obwohl die Machthaber in Deutschland bei Kriegsausbruch 1939 rund 800 «Konzentrationslager» betrieben, die meisten davon kleine Außenlager der berüchtigten großen KZs wie Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald, Bergen-Belsen oder Mauthausen, füllten die Nationalsozialisten diese Lager mit gut einer Million Regimegegnern und nicht mit den eigenen Parteimitgliedern. Es gab im Deutschland der NS-Zeit immer wieder Wellen kollektiver Verhaftungen und Bestrafungen, die wir als «Säuberungen» bezeichnen: etwa die Liquidierung der SA-Führung (und anderer potentieller Widersacher) am 30. Juni 1934 sowie die massenhaften Festnahmen und Hinrichtungen von Wehrmachtsangehörigen, Beamten und verbliebenen Demokraten, die in den Attentatsversuch auf Hitler vom 20. Juli 1944 verwickelt waren. Jede dieser Wellen betraf etwa 1000

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