Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
Wesenskern des Rechts bestehe in seiner allgemeinen Anwendbarkeit sowie in der Rationalität und den Werten, die ihm zugrunde lagen. Doch Schmitt lehnte auch die deutsche Schule des Rechtspositivismus ab, die der Ansicht war, die Macht, Recht zu setzen, erübrige jede Diskussion über die ihm innewohnende normative Legitimität. Er vertrat zudem die Auffassung, alle Vorstellungen von einem internationalen Recht bzw. Völkerrecht, das auf universellen Werten und Verträgen basiere, seien utopisch. Als angesichts der alliierten Bombenangriffe allmählich klar wurde, dass das «Dritte Reich» dem Untergang geweiht war und seine Ideen in Misskredit geraten würden, behauptete Schmitt in der ihm eigenen beißenden Art, das Völkerrecht sei eine Lehre, welche die Europäer entwickelt hätten, um Streit untereinander zu vermeiden, als sie die Territorien der nicht-europäischen Welt unter sich aufteilten. Diese Art internationaler Doktrin, so seine These, sei realistisch; sie gehe von einer Geopolitik großer, aber begrenzter Territorialreiche aus und rechtfertige damit die «Großraumpolitik» der Nationalsozialisten. Gleichzeitig jedoch schließe sie die Wilsonsche Behauptung angeblich universeller Werte ebenso aus wie die frühere britische Verpflichtung auf einen Marktliberalismus; beides seien globale Ambitionen, die in seinen Augen weitaus unverhohlener imperialistisch waren als die deutschen Ansprüche in Europa.[ 169 ]
Es war erschreckend, aber nicht wirklich ungewöhnlich, dass der Faschismus scheinbar über privilegierte Erkenntnisse in Sachen Zukunft verfügte, als die Weltwirtschaftskrise immer länger dauerte und immer verheerendere Wirkungen zeitigte und als der Rahmen des Versailler Friedensvertrags Stück für Stück aufgegeben wurde. Das galt vor allem in Mittel- und Osteuropa, wo Briten und Franzosen nicht mehr darauf erpicht zu sein schienen, den kleineren Ländern – die ihrerseits mitunter wie besessen mit nationalen Fragen beschäftigt waren – dabei zu helfen, von ihren großen autoritären Nachbarn unabhängig zu bleiben.[ 170 ]
Österreich, das deutschsprachige Überbleibsel des Habsburgerreichs (wenn man einmal von den Deutschen im Sudetenland absieht), war ideologisch gespalten zwischen den Sozialisten, die vor allem in Wien und im industriellen Oberösterreich ihre Hochburgen hatten, und der tiefkatholischen, konservativen Landbevölkerung, die in der Christlichsozialen Partei organisiert war. Anfang der 1930er Jahre entstand eine quasi-faschistische «Vaterländische Front» als politische Kraft, und in den Straßen kam es zu Zusammenstößen zwischen den paramilitärischen Organisationen der konkurrierenden Parteien. Als Reaktion auf die Vaterländische Front versuchten die älteren Christlichsozialen, die Hegemonie auf der Rechten zu behalten, und verwandelten das Parlament in eine Ständekammer ähnlich dem Faschismus. Die Sozialisten befürchteten, die österreichische Rechte werde auch noch die letzten Reste des Liberalismus liquidieren, und starteten im Februar 1934 auf eigene Faust eine Revolte, die jedoch gewaltsam niedergeschlagen wurde; wer nicht ins Exil nach Prag floh, wurde inhaftiert. In den folgenden vier Jahren waren die Christlichsozialen bestrebt, einen autoritären Staat nach dem Vorbild Mussolinis aufzubauen. Ungeduldige österreichische Nationalsozialisten und Bewunderer Hitlers versuchten sich im Juli 1934 an die Macht zu putschen und ermordeten den Kanzler. Sie scheiterten jedoch, nicht zuletzt deshalb, weil Mussolini deutlich machte, dass er ein Großdeutschland an seiner Nordgrenze in den Alpen nicht dulden werde. Doch im Lauf der nächsten Jahre verlor das halb unabhängige und semi-faschistische Österreich den Schutz des «Duce». 1936 beschloss der italienische Diktator aus Wut darüber, dass sich der Westen seiner Invasion in Äthiopien widersetzte, sich mit den Deutschen zur so genannten Achse zusammenzuschließen. Dieser Schritt sorgte dafür, dass Hitler nach und nach immer stärkeren Druck auf Österreich ausübte, bis es schließlich im März 1938 zum «Anschluss» kam.
In der Zwischenzeit verwandelte das polnische Militär die dortige Republik Schritt für Schritt in eine Militärregierung; in den baltischen Staaten übernahmen Diktatoren die Macht. Ungarn, das seit der Gegenrevolution von 1919 als autoritärer Staat mit allerdings weiter bestehendem Parlament und einem gewissen Maß an offener Debatte regiert worden war, schwankte zwischen den Anhängern
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