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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Südostasien angreifen sollte. Die Tatsache, dass Moskau aufgrund des Nichtangriffspakts mit Deutschland freie Hand hatte, dazu die evidente Stärke der sowjetischen Truppen, die sie bei einigen größeren Grenzzwischenfällen mit Japan bereits unter Beweis gestellt hatten, und die Schwäche der ressourcenreichen niederländischen und französischen Kolonialbesitzungen (deren Regierungen in Europa im Frühjahr 1940 schwere Niederlagen erlitten hatten) ließen die «südliche Variante» umso verlockender erscheinen. Als Amerika darauf beharrte, Japan müsse sich nicht nur von den von den Franzosen erbeuteten Stützpunkten in Vietnam zurückziehen, sondern auch aus China, schien das eine grundsätzliche Entscheidung zwischen Demütigung und der Bereitschaft zu einem größeren Krieg zu erzwingen.

    Zweiter Weltkrieg in Asien: Japanische Panzer, leicht und von primitiver Bauart, rücken rasch vor, als Japan 1937 und 1938 von der Mandschurei aus ins südliche China einfällt. Der Zweite Weltkrieg nahm seinen Anfang in Asien; als er in Europa begann, kontrollierte Japan einen breiten Küstenstreifen Chinas, während sich die chinesischen Nationalisten in Chongqing am Oberlauf des Yangzi und die kommunistischen Truppen in Yan’an im Nordwesten verschanzten.
    Auch die Tatsache, dass Niederländisch-Ostindien Ölressourcen versprach, die das Militär dringend benötigte, nachdem die USA alle Exporte nach Japan ausgesetzt hatten, ließ die Option einer Ausweitung des Krieges durchaus naheliegend erscheinen. Zu Tokios Pech erforderte die Expansion gen Süden Präventivschläge gegen britische und amerikanische Stützpunkte – auch in diesem Fall also erzwang ein Krieg den anderen. Aus der Perspektive Anfang der 1940er Jahre erwies sich China für die japanische Führung als das, was Russland für Hitler war: eine riesige Gesellschaft, deren Eroberung, so glaubte man, Voraussetzung für die Führerschaft auf dem Kontinent war, deren Widerspenstigkeit jedoch die Bemühungen kostspieliger werden ließ als gedacht und letztlich einen Gegner in Übersee in den Krieg hineinzog, der über weitaus größere Ressourcen verfügte, als man selbst zur Verfügung hatte.
    Doch schon Mitte der 1930er Jahre waren die Entwicklungen unheilvoll genug, um in den Augen vieler Intellektueller nur eine schreckliche Wahl zu lassen: entweder dem Faschismus zu unterliegen oder gemeinsam mit den Kommunisten Widerstand zu leisten. Die amerikanische Demokratie schien zu weit weg zu sein und zu wenig Interesse an der ferneren Welt zu haben, zumal sie selbst mit massenhafter Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatte. Glücklicherweise widerstand die öffentliche Meinung im Westen überwiegend solch apokalyptischem Denken, auch wenn man vielleicht zu lange glaubte, sich irgendwie «durchwursteln» zu können, und sich den Hoffnungen auf ein, wie der Dichter W. H. Auden es nannte, «erbärmliches, verlogenes Jahrzehnt» hingab; stattdessen hielt sie sich verständlicherweise an Staaten, die der völligen Politisierung des Privatlebens widerstanden und mitunter sogar Experimente mit fortschrittlicher Sozialgesetzgebung wagten.
    Die Sowjetunion, die sich im politischen Spektrum selbst als völligen Gegensatz zum Faschismus verortete, ihrerseits aber eine genauso umfassende und repressive soziale Kontrolle entwickelte, war vermutlich die Diktatur, die gründlicher als alle anderen Denken und Gesellschaft durchdrang. Der Romancier André Gide, der mit der Linken sympathisierte, reiste 1936 nach Russland und kam zu der Erkenntnis, nirgendwo würden Denken und Freiheit stärker kontrolliert – nicht einmal in NS-Deutschland. Und George Orwell erkannte im Spanischen Bürgerkrieg, wie rücksichtslos Stalins Sowjetunion die Kontrolle über die Linke an sich reißen wollte.[ 172 ] Gleichwohl konnten westliche Kommunisten und ihre Anhänger nach wie vor behaupten (wie das Jean-Paul Sartre nach dem Krieg tun sollte), die Sowjetunion verkörpere die Hoffnungen und Bestrebungen des weltweiten Proletariats und müsse deshalb unterstützt werden. Sie war aber auch eine erklärte Diktatur (laut Verfassung von 1936 angeblich allerdings in Gestalt einer vollkommenen Demokratie).
    Noch umfassender als in Italien und Deutschland wurden die Institutionen des russischen Staates der Partei unterworfen, die ganz offen als Diktatur des (oder zumindest im Sinne des) Proletariats agierte. Bis zu den Reformen Michail Gorbatschows in den 1980er Jahren fungierte das sowjetische Staatsoberhaupt

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