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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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und Hitler waren schon früh darum bemüht, ihre jeweiligen Parteien wirklichen Einflusses zu berauben und sie stattdessen zu effektiven Transmissionsriemen für die von ihnen etablierte Macht zu entwickeln. Keiner der beiden «Führer» war bereit, eine «zweite» Revolution zu dulden, bei der die Armee durch die Parteimiliz ersetzt worden wäre. Es gab jedoch viele parallele Ämter, und als Deutschland den Krieg, dessen Erfordernisse man nicht völlig vorausberechnet hatte, ausweitete und intensivierte, setzte die Regierung verstärkt auf die Gauleiter und andere Vertreter der Partei, um auch weiterhin soziale Funktionen und die Zivilverteidigung zu gewährleisten. Als Leiter der Partei-Kanzlei wurde Martin Bormann damit zu einer einflussreichen Person. Die Kriegsvorbereitungen und die Kriegszeit selbst vergrößerten die Fülle an Organisationen noch weiter.
    Zwar lernten die Nationalsozialisten von den Italienern, und bis weit in den Krieg hinein bewahrte sich Hitler einen gewissen Respekt vor Mussolini als einer Art ideologischem Paten, doch die beiden Faschismen wiesen auch deutliche Unterschiede auf – und zwar nicht nur im Hinblick auf die zentrale antisemitische Fixierung des deutschen Regimes. Im Gegensatz zur faschistischen Ideologie in Italien, die vor allem auf die absolute Autorität des Staates und eine unerbittliche Rechtsordnung abhob, betonten Hitlers Rechtsgelehrte die persönliche Willkürmacht des «Führers» als Ausdruck der (nationalen, aber auch «rassischen») «Volksgemeinschaft» und sprachen den so genannten Führererlassen, selbst wenn sie eher beiläufigen Charakter hatten, oberste rechtliche Autorität zu. Man könnte das als eine Theorie des rechtlichen «Vitalismus» bezeichnen, als Versuch, die allerwillkürlichste Macht einem lebenden Führer zuzuschreiben, der den Willen der nationalen Gemeinschaft verkörperte, und sie nicht innerhalb irgendeines unabhängigen Rechtsrahmens mit seinen Beschränkungen festzulegen.
    Der bedeutendste deutsche Denker, dessen Ideen stark zu einer solchen Theorie beitrugen (auch wenn er sie niemals formal ausarbeiten sollte), war der schon zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Carl Schmitt. Schmitt war ein einflussreicher Rechtsgelehrter, der sich in der Weimarer Republik in den Debatten über das Wesen des Rechts, den Parlamentarismus und die Demokratie schon früh einen Namen gemacht hatte. Eine seiner Kernthesen lautete: Politik, insbesondere demokratische Politik, müsse sich auszeichnen durch den Antagonismus zwischen einem Volk und seinen Gegnern. Schmitt war unerhört klug und von großer Überzeugungskraft, er kannte die Klassiker und stand in der Tradition der katholisch-autoritären Denker des 19. Jahrhunderts, Joseph de Maistre, Louis de Bonald und Juan Donoso Cortés, die der Ansicht waren, mit der Revolution von 1789 habe die gefallene Menschheit noch einmal den Aufstand des Teufels gegen Gott wiederholt. Schmitt hegte durchaus Hoffnungen, von den Nationalsozialisten als deren offizieller Vordenker anerkannt zu werden, doch letztlich war er intellektuell zu arrogant, um sich kopfüber in deren krude Auseinandersetzungen zu stürzen.
    Die in seinen Augen grundlegende politische Einheit war nicht der Staat, den viele Konservative in Deutschland und Faschisten in Italien hoch hielten, sondern die Gemeinschaft – einst die Polis, nunmehr die Nation –, die sich im Gegensatz und in Opposition zu ihren Widersachern vereinte. In der Politik ging es deshalb um die Unterscheidung von wir und sie, von Freund und Feind. Wahre Demokratie habe nichts mit dem «ewigen Gespräch» zu tun, den endlosen Debatten, die der parlamentarische Liberalismus so sehr pries, sondern war das Regime, das aus der grundsätzlichen Identität eines Volkes resultierte. Tatsächlich, so behauptete Schmitt, fungierten die Parlamente nicht mehr als Schauplätze freier und rationaler Diskussion, wie dies der frühe britische Liberalismus postuliert hatte, sondern dienten nur noch der Repräsentation konkreter Interessen, die schon feststünden, noch ehe die Debatte überhaupt begonnen habe.[ 168 ] Die Weimarer Verfassung war in seinen Augen eine defizitäre Mischung aus liberalen und demokratischen Elementen, und er sah seine Diagnose bestätigt durch die Lähmung des Weimarer Parlaments Anfang der 1930er Jahre, als er nach einem demokratischen Diktator rief.
    Solche Ansichten brachten Schmitt natürlich in Gegensatz zu den liberalen Theoretikern, die der Ansicht waren, der

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